Der hl. Philipp Neri ist keine Kopie, er ist ein Original! Manchmal wird er als „Spaßvogel“ missverstanden. Er war vielmehr ein Christ, der immer wieder Gott an die erste Stelle in seinem Leben stellte – aber das mit Humor. Wer sich auf ihn einlässt, gerät in eine anspruchsvolle und konsequente Schule der Heiligkeit, in der sich Liebe und Demut immer wieder gegenseitig hochschaukeln. So wurde er in einem sehr schwierigen Jahrhundert zum Erneuerer von Rom, ja zum zweiten Apostel der Ewigen Stadt.
Wir brauchen auch heute in allen Ständen und Berufen solche Menschen, die sich auf den radikalen Weg des Evangeliums mitnehmen lassen. Nur so kann die Kirche in altem und gleichzeitig neuem Glanz erstrahlen. Die folgenden Fragmente sind dem Buch von Pietro Giacomo Bacci entdommen: Der Heilige Philipp Neri – sein Leben und seine Tugenden.
1. Geburt und Kindheit des hl. Philipp
Anzeichen künftiger Heiligkeit, die schon in der Kindheit und Jugend erkennbar waren, sind seine besondere Neigung zu göttlichen Dingen, große Selbstbeherrschung und Bescheidenheit und höchste Ehrerbietung gegenüber seinen Eltern und den Oberen. Er war seinem Vater so gehorsam, dass man nur von einem Vorfall weiß, bei dem er ihn betrübt hatte: Er hatte seiner Schwester Katharina, die ihn am Beten hinderte, einen leichten Schlag versetzt. Wegen dieses „Vergehens“, für das er vom Vater zurechtgewiesen wurde, vergoss er Tränen. Auch seiner Mutter hat er so willig und vollkommen gehorcht, dass er, wenn sie es von ihm verlangte, an einem Ort still zu stehen, sich nicht bewegte, bis sie es ihm ausdrücklich erlaubte. Nach dem Tode der Mutter (Philipp war 5 Jahre alt)2 heiratete der Vater wieder. Die Stiefmutter liebte Philipp wie ihr eigenes Kind, und sie weinte sehr, als er Florenz verließ, sie war kaum zu trösten. Als sie krank wurde und dem Tode nahe, wiederholte sie oft seinen Namen und wurde dadurch getröstet.
Philipp war nicht nur gegenüber seinen Eltern und Vorgesetzten, sondern gegen jedermann fröhlich, gehorsam und willig, sodass alle meinten, er könne gar nicht zornig sein. Aus diesem Grund und wegen seiner Güte, Unschuld und Reinheit wurde er von allen der „gute Pippo“ genannt. Wegen dieser Eigenschaften wurde er nicht nur von den Menschen geliebt, sondern auch von Gott besonders geschützt: Als er im Alter von etwa 8 oder 9 Jahren im Hof auf einen Esel stieg und begann, wie es die Jungen gerne tun, auf diesem herumzureiten, fiel er mit dem Esel die Treppe in den Keller hinunter. Eine Frau, die das hörte und eilends herbeilief, fürchtete, ihn ganz zerschlagen vorzufinden, konnte ihn aber unverletzt unter dem Esel hervorziehen. Philipp erzählte diesen Vorfall oft selbst voll Dankbarkeit gegenüber der göttlichen Vorsehung.
Zu den schon genannten Gaben kamen eine große Ehrfurcht vor Gott und Eifer für den Gottesdienst. In allem spürte man schon eine große Reife und Ernsthaftigkeit. Er hielt sich nicht mit kindischen Spielen auf, sondern verbrachte viel Zeit mit Beten und dem Lesen der Psalmen und eifrigem Anhören des Wortes Gottes. Aber niemals äußerte er sich dazu, ob er einmal Priester werden oder in ein Kloster gehen wollte. Schon von frühester Jugend an hielt er sein Inneres verschlossen, da er jegliche Ruhmsucht verabscheute. Durch dieses Verhalten und seine kindliche Unschuld stand er in der Gnade Gottes, sodass er alles erhielt, um was er Christus bat. Es geschah sehr oft, dass er, wenn er etwas verloren hatte, betete und das Verlorene sofort wieder fand.
Damals besuchte Philipp oft die Kirche San Marco beim Dominikanerkloster, von deren Patres er den ersten geistlichen Unterricht empfing. Wenn später in Rom Patres aus diesem Orden zu ihm kamen, pflegte er zu sagen: Wenn ihm durch die Güte Gottes von Jugend an etwas Gutes geschenkt worden sei, so habe er es gewiss den Patres ihrer Ordensgemeinschaft zu verdanken, vor allem aber Zenobio de Medici und Servantio Mini. Als ein Beispiel für die Tugendhaftigkeit dieser beiden Männer erzählte er: Diese beiden Patres hatten vereinbart, sich jede Nacht vor der Mette gegenseitig die Beichte abzunehmen, um das Offizium noch andächtiger beten zu können. Aber der böse Feind, der ihnen diese große Tugend neidete, klopfte eines Nachts, zwei Stunden vor der gewohnten Zeit, an die Zelle des Zenobio und schrie: „Hörst du, steh auf, es ist Zeit!“, worauf dieser erwachte, aus dem Bett sprang und in die Kirche eilte. Dort meinte er Servantio zu sehen, der vor dem Beichtstuhl auf und ab ging. Er kniete sich demütig nieder, um seine Fehler zu beichten: Der Teufel, in Gestalt des Servantio, setzte sich und hörte die Beichte. Aber zu jedem Fehler, den Zenobio beichtete, sagte er: „Das ist nichts Wichtiges, das hat nichts zu bedeuten“. Ja, als Zenobio einen größeren Fehler beichtete, sagte er so nebenbei, das sei nur eine leichte Sünde. Als Zenobio dies hörte, nahm er sein Zingulum (Strick des Mönchsgewandes), bekreuzigte sich und schrie den Vater der Lüge an: „Bist du es, höllischer Feind!“ Worauf dieser sogleich verschwand.
Philipp ging auch sehr oft zu einem berühmten Prediger aus der Gesellschaft der Humiliaten, mit Namen Baldolinus. Als Zeugnis für dessen Heiligkeit erzählte Philipp, dass auf sein Gebet hin die Stadt Florenz 1527 verschont blieb, als der Herzog von Bourbon mit seiner Kriegsmacht durch Italien zog. Die geistlichen Übungen entzündeten in Philipp das Verlangen nach allen Tugenden und erweckten insbesondere den Wunsch, für Christus zu leiden. Als er 15 Jahre alt war, ergriff ihn ein starkes Fieber, das er geduldig ertrug; er überwand sein körperliches Leiden durch seine Seelenstärke. Und so konnte er es vor den Hausgenossen verbergen, was seine größte Sorge gewesen war. Genauso gefasst blieb er, als das Haus seines Vaters abbrannte: Er ertrug den Verlust des schönen Hausrates so gelassen, dass bei allen eine Ahnung künftiger Heiligkeit aufstieg.
2. Philipp verlässt die Heimat
3. Philipp begibt sich nach Rom
An diesem Ort blieb Philipp viele Jahre und führte ein asketisches Leben. Er mied die Menschen so sehr, dass viele sagten, er führe ein wahres Einsiedlerleben. Er war sehr bescheiden im Essen und Trinken. Anfangs hoben ihm die Hausgenossen übriggebliebene Speisen auf, er aber begnügte sich mit einem Stück Brot, das er am Brunnen im Hof aß, zusammen mit einem Schluck Wasser. Bisweilen aß er dazu ein paar Oliven oder Kräuter. Öfters blieb er auch drei Tage ohne Speise. Seine Zelle war so arm, dass sie außer dem Bett und einigen Büchern fast nichts enthielt. Seine wenigen Kleider hingen über einem Strick, der quer durchs Zimmer gespannt war. Er gab sich ganz dem Gebet hin und verbrachte darin bisweilen ganze Tage und Nächte. Diese besondere Art zu leben begann nicht nur in Rom bekannt zu werden, sondern auch in seiner Heimatstadt Florenz und anderen Städten des Welschlandes.
4. Philipp studiert Philosophie und Theologie
Auch während des Studiums verbrachte er ganze Nächte im Gebet. Außerdem besuchte er in den Spitälern der Stadt die Kranken und Schwachen, um ihnen zu dienen. In den Vorhallen von St. Peter oder von S. Giovanni in Laterano unterrichtete er die Armen im Glauben. Er unternahm alles, was er für wichtig hielt für das Heil der Seelen. In der Zeit, als er noch Theologie studierte, hing in dem Vorlesungsraum ein besonderes Kruzifix, das ihn bei jedem Hinsehen zu Tränen rührte. Wie er in Florenz der „gute Pippo“ genannt wurde, hieß er jetzt auch in Rom der „gute Philipp“.
5. Philipp hört auf zu studieren und übergibt sich ganz Christus
Wenn Philipp manchmal die Kirchentür verschlossen fand, verbrachte er die Nacht in der Vorhalle, hielt seine Betrachtungen und las manchmal bei Mondschein ein geistliches Buch, denn er war so arm, dass er sich keine Kerze leisten konnte. Er wurde in dieser Zeit mit solch einer Fülle von Gnaden überschüttet, dass er es bisweilen nicht mehr ertragen konnte und aufschrie: „Oh gütiger Gott, es ist genug; genug ist es, ich bitte Dich, hör auf, denn ich kann nicht mehr ertragen!“ Deswegen ist es kein Wunder, dass er, voll der Gnade Gottes, oft sagte: „Die wahren Diener Gottes ertragen das Leben mit Geduld und sehnen sich nach dem Tode.“
Gott hat seinen Diener nicht nur mit geistlichen Gnadengaben ausgestattet, er musste auch so manche Angriffe durch die bösen Geister abwehren. Er trug aber immer den Sieg davon.
6. Die wunderbare Erweiterung seines Herzens
Kurz vor dem Pfingstfest, während er, wie er es täglich zu tun pflegte, innigst um die Gaben des Heiligen Geistes betete, erschien ihm eine feurige Kugel, die durch seinen Mund in seine Brust eindrang. Sein Herz wurde von der göttlichen Liebesflamme so entzündet, dass er sich zu Boden warf und seine Brust entblößte, um Kühlung zu erlangen. Als diese Hitze etwas nachgelassen hatte, sprang er auf, legte seine rechte Hand auf das Herz und fand dort eine faustgroße Geschwulst. Die Ursache dieser Geschwulst sah man erst nach seinem Tod: Als die Ärzte seinen Leib öffneten, fanden sie zwei Rippen, die aus dem Brustbein herausgebrochen waren und wie ein Bogen erhöht standen, und die in den fünfzig Jahren, die er noch gelebt hatte, nie mehr eingewachsen waren. Er hatte aber, für alle unverständlich, sowohl damals wie auch später niemals Beschwerden oder Schmerzen dadurch erleiden müssen. Von diesem Augenblick bis an sein Lebensende überfiel ihn immer wieder ein heftiges Zittern des Herzens. Wenn er die Hl. Messe zelebrierte oder mitfeierte, anderen das Altarsakrament reichte, betete und dergleichen mehr, schien sein Herz aus der Brust springen zu wollen. Dieses Zittern wurde bisweilen so heftig, dass der Sessel, das Bett, ja das ganze Zimmer zu beben schienen. Als er einmal in St. Peter auf einer großen (Grab-) Tafel kniete, begann er am ganzen Leib zu zittern, was sich auf die Tafel übertrug, so dass diese auf und ab schwang, als wäre sie ganz leicht.
Sooft Philipp eines seiner geistlichen Kinder an die Brust drückte, fühlten sie die Bewegung seines Herzens so stark, dass ihre Köpfe wie von einem heftigen Stoß zurückprallten. Dabei fühlten sie eine wunderbare Tröstung und geistliche Freude. Manche wurden während dieser Zeit von allen schlechten Gedanken befreit. Ein solches Zeugnis hinterließ Tiberius Riccardelli, Kanonikus in St. Peter, der Philipp vier Jahre lang freiwillig diente: „Während ich dem Vater diente, überfiel mich ein unreiner Gedanke. Als ich ihm dies sagte, forderte er mich auf, näher zu ihm zu kommen: „Tiberius komm her, dicht an meine Brust.“ Er drückte mich an sich, und von jetzt an hatte ich überhaupt keine Anfechtungen mehr durch unreine Gedanken.“ Das Gleiche wie Tiberius bezeugte auch Marcellus Vittolesci, Kanonikus in Santa Maria Maggiore und ebenfalls ein geistlicher Sohn Philipps. Sehr oft, wenn Philipp wusste, dass dieser an solchen Versuchungen litt, fasste er ihn am Kopf und drückte ihn an sich, ohne ein Wort zu sprechen, und jedes Mal wurde er sofort von der Versuchung befreit. Vom Herzen ausgehend breitete sich eine so große Hitze über seinen ganzen Körper aus, dass er auch noch im hohen Alter, obwohl abgemagert, selbst im tiefsten Winter mit entblößter Brust, bei offenen Fenstern und Türen, Kühlung suchte. Man hat ihn so auch bei Eis und Kälte, als er schon ein alter Mann war, durch die Stadt gehen sehen. Die Ärzte mussten mehr als einmal bei ihm unangenehme Arzneien und Mittel anwenden. Er sagte dann scherzhaft: „Ach wollte Gott, sie könnten die Ursache meiner Krankheit erkennen!“ Damit wollte er andeuten, dass seine Krankheit keine natürliche Ursache hatte, sondern, dass er von der Liebe Gottes verwundet worden war. Diese Aussage machte er immer wieder. Mit der Liebe Christi aufs Innigste verbunden, sang er Lieder wie dieses:
Wie gern möchte ich von dir wissen,
wie es denn gemacht ist – jenes Netz der Liebe,
das so viele einfängt.
Er wurde immer wieder sosehr vom Heiligen Geist überwältigt, dass er sich, einer Ohnmacht nahe, aufs Bett warf, und sich an ihm der Spruch aus dem Hohen Lied erfüllte: „Überschüttet mich mit Blumen, stärkt mich mit Äpfeln, denn ich bin krank vor Liebe“6. Damit aber nicht jeder die Ursache dieser „Ohnmachtsanfälle“ erkennen sollte, sprach er von einer schlechten körperlichen Verfassung. Er hielt fast immer ein Tüchlein an seine Brust, um die Geschwulst und die Erhöhung der Rippen zu verbergen. Das Klopfen seines Herzens hing ganz von seinem freien Willen ab, wie er nicht nur einmal seinem Freund, Kardinal Federigo Borromeo7, gegenüber versicherte. Es war am stärksten während dem Gebet und der Betrachtung und keineswegs schmerzhaft. Aus gutem Grund schrieben seine Ärzte in verschiedenen Abhandlungen, dass sich bei Philipp diese Erweiterung und Erhöhung der Rippen aus der besonderen Fürsorge und Güte Gottes ereignet hätten, damit das Herz bei dem heftigen Zittern und bei den Bewegungen nicht verletzt würde.
Nachdem Philipp von Gott diese Gaben empfangen hatte, fing er an mit noch größerem Eifer die sieben Hauptkirchen zu besuchen. Eines Tages sank er während des Gebetes, vom Geist Gottes überwältigt, zu Boden und schrie auf: „Ich kann nicht so viel ertragen, o Gott! Ich kann nicht so viel tragen, o Herr! Denn siehe, ich bin am Sterben.“ Daraufhin milderte Gott die Gewalt der Liebe. Trotzdem ermahnte Philipp seine geistlichen Kinder, sie sollten bereit sein, im geistlichen Leben die Trockenheit zu ertragen, solange es Gott gefalle und ohne sich zu beklagen, ebenso wie sie sich sehnen, himmlische Dinge zu verkosten.
7. Philipp beginnt, den Nächsten zu helfen
Durch den geistlichen Einfluss Philipps waren viele in verschiedene Ordens-gemeinschaften eingetreten. Der hl. Ignatius von Loyola, der Gründer der „Gesellschaft Jesu“, der sich zu jener Zeit in Rom aufhielt, nannte Philipp eine Glocke, die andere in den Ordensstand rufe, selbst aber in der Welt bleibe: Wie eine Glocke, die die Menschen in die Kirche ruft, selbst aber im Turm hängen bleibt. Ignatius wünschte sich Philipp in seine „Gesellschaft Jesu“, doch Gott hatte andere Pläne mit ihm. Während Philipp sich so eifrig um das Heil der Seelen bemühte, unterließ er jedoch nicht die tätigen Werke der Nächstenliebe: Er besuchte häufig die Krankenhäuser, machte die Betten, putzte und beseitigte den Unrat, brachte die Speisen und dergleichen mehr. Vor allem aber stand er den Sterbenden bei, von denen er nicht wich, bis sie gestorben waren oder es ihnen wieder besser ging.
Diese Werke der Nächstenliebe bewogen viele Herzen zur Nachahmung: Nicht nur Geistliche, auch Laien und Adelige besuchten oft die Kranken – und Siechenhäuser, wo sie an den Kranken die demütigsten Dienste verrichteten. Hierin ist der Ursprung der „ministrantes infirmes“, der Diener der Kranken zu sehen, die in Camillus von Lellis ihren Vater verehren, der ebenfalls ein geistlicher Sohn Philipps war. Um die Väter dieses Ordens in ihrem Dienst zu ermutigen, erzählte Philipp, dass er selbst gesehen habe, wie bei zwei Mitgliedern dieser Gesellschaft, die Sterbenden beistanden, Engel ihnen die Worte für die scheidenden Seelen einflüsterten. In den Chroniken und Büchern dieser Gemeinschaft kann man darüber nachlesen.
8. Philipp gründet mit einigen Gleichgesinnten die Bruderschaft der Hochheiligsten Dreifaltigkeit
Die meiste Zeit des Gebetes, am Tag oder in der Nacht, verbrachte Philipp in der Betrachtung. Jede Stunde schickte er die, die gebetet hatten weg, und rief andere herbei, während er sagte: „Liebe Brüder, die Stunde ist zwar verflossen, aber nicht die Zeit, Gutes zu tun.“ Von Anfang an war die Aufgabe dieser Bruderschaft (wie sie es heute noch ist), Pilger zu beherbergen und zu verköstigen. Im Jubiläumsjahr (1550), unter Papst Julius III., wurde dieses Werk der Nächstenliebe anerkannt. Da in diesem Jahr die Zahl der Rom-Pilger so angewachsen war, dass sich kaum noch eine Herberge für sie fand, nahm sich Philipp ihrer mit seinen Gefährten liebevoll an. Da aber die Zahl der ankommenden Pilger gar zu groß wurde, war es nötig, ein größeres Haus zu finden. Dieser Dienst der Nächstenliebe an den Pilgern wurde für viele zum Ansporn, Ähnliches zu tun: den Pilgern die Füße zu waschen, ihnen Speisen zu bringen, sie zu beherbergen, Betrübte zu trösten und ihnen auf verschiedene Weise Liebe zu schenken. Der gute Ruf der Bruderschaft verbreitete sich dadurch so sehr, dass immer mehr Menschen baten, in diese Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Die ersten Mitglieder dieser Bruderschaft verehrten Philipp als ihren Vater. Sie lebten sehr ärmlich, waren aber reich an geistlichen Gütern: Einer von ihnen, der in der Küche die niedrigsten Dienste verrichtete, erlangte einen so hohen Grad an Vollkommenheit, dass er bei der Betrachtung der Größe und Allmacht Gottes oft in Verzückung geriet. Ein anderer aus der Bruderschaft sah seine Todesstunde voraus und verschied in Frieden an dem Tag und zu der Stunde, die er seiner Schwester genannt hatte.
Als die barmherzigen Männer merkten, dass die Kranken zu früh aus den Spitälern weggeschickt wurden und so in Gefahr waren, noch schwerer zu erkranken, beschlossen sie, diese noch einige Tage im gleichen Spital zu pflegen und zu verköstigen. Da es immer mehr Pflegebedürftige wurden, zogen sie von der Kirche San Salvatoris in Campo an einen nähergelegenen Ort, dorthin, wo jetzt die Kirche der Hochheiligsten Dreifaltigkeit steht, in dem Stadtviertel della Regula. Das segensreiche Wirken dieser Gemeinschaft, in der selbst höchste Würdenträger und Adlige die demütigsten Dienste an den Pilgern verrichteten: ihnen die Füße wuschen, bei Tisch aufwarteten, ihnen Almosen reichten und dergleichen mehr, sodass sich ihr Ruf weithin verbreitete, setzt sich bis heute fort.
9. Philipp wird zum Priester geweiht und erhält die Erlaubnis, Beichte zu hören
10. Ursprung der allgemeinen Predigten
11. Die ersten geistlichen Söhne Philipps
Unter Philipps Einfluss trat Portia de Massimi, die Frau von Johann Baptista, nach dem Tod ihres Mannes in Florenz in ein Frauenkloster ein. Als sie aber aus gesundheitlichen Gründen nach Rom zurückkam, trat sie dort in das Frauenkloster St. Catharina von Siena in Viminali ein und starb im hohen Alter so fromm, wie sie gelebt hatte. Franziscus Maria Taurusius, ein Politiker, mit Papst Julius III. verwandt, stellte sich, nach seiner Bekehrung und dem Ablegen einer Lebensbeichte, ganz unter die Führung Philipps und gab das Hofleben mit seinem Glanz auf. Auch er liebte Philipp sehr. Taurusius war so voller Liebe und Eifer, dass er eher gebremst als angespornt werden musste. Dem Willen Gottes war er ganz ergeben und behielt den bei seiner Bekehrung gewonnenen Frieden bei. So groß war seine Meinung über die Heiligkeit Philipps, dass er, nachdem er Kardinal geworden war, sich rühmte, 50 Jahre lang ein Novize Philipps gewesen zu sein. Er hatte die besondere Gabe des Gebetes und der Tränen und wurde von Baronius in seinen Annalen ein „Führer des Wortes“ genannt. Er starb im hohen Alter von 83 Jahren im Kreis der Patres, die er inständig gebeten hatte, seine letzten Tage in ihrer Kongregation verbringen zu dürfen.
Unter den Vielen, die Philipp zum geistlichen Leben erzog, war Costantius Tassone, der das Leben am Hof so reizvoll fand, dass er glaubte, nicht davon lassen zu können. Doch durch das Zusammenleben mit Philipp erreichte er einen hohen Grad an Heiligkeit – es gab nichts, was er nicht aus Liebe getan hätte – beichtete und empfing die Sakramente beinahe täglich, besuchte jeden Tag die Kranken- und Siechenhäuser und schlug kein Werk aus, das Philipp ihm auferlegte. Priester geworden, las er jeden Tag die Hl. Messe, schlug eine reiche Pfründe aus und wurde von Kardinal Carlo Borromeo nach Mailand berufen. Als er im Auftrag dieses Kardinals nach Rom reiste und dabei Philipp traf, sagte ihm dieser seine Todesstunde voraus, und er verstarb in dessen Armen.
Johannes Baptista Modio aus Calabrien, Doktor der Medizin, war ein weiterer geistlicher Sohn Philipps. Er war durch ein Steinleiden todkrank. Philipp betete für ihn und als eine seiner Tränen auf das Bett fiel, ging der Stein ab. Dankbar übergab er sich ganz der Leitung und dem Schutz Philipps. Er war sehr sanftmütig und obwohl ein Laie, wurde er von Philipp dazu bestimmt, im Oratorium das Leben der Heiligen vorzutragen. Auch Viele aus den ersten Familien Italiens waren seine Beichtkinder und leuchtende Vorbilder am römischen Hof. Aber auch andere, von niederer Herkunft, gehörten zu seinen Schülern: Der erste war Stephano, ein Schuster aus Rimini, der im Kriegsdienst das wüsteste Leben geführt hatte. Als er nach Rom kam und sich zu einem dieser allgemeinen Gespräche in das Oratorium von St. Hieronimus begab, setzte er sich auf eine der hintersten Bänke. Aber Philipp, der ihn nie zuvor gesehen hatte, kam auf ihn zu und führte ihn zu einem der vorderen Plätze. Angezogen von Philipps Freundlichkeit und dem Worte Gottes kam er von nun an täglich zu diesen Gesprächen, empfing die Sakramente und legte allmählich die bösen Neigungen ab. Obgleich sehr arm, gab er von nun an alles, was er durch die Schuhmacherei in der Woche verdiente und nicht selbst brauchte, den Armen. Er betrachtete stets den Tod und bereitete sich darauf vor, als müsse er noch am selben Tag sterben, verlor aber nie sein fröhliches Gesicht und sein heiteres Wesen. Er war ganz dem Gebet und dem Gehorsam ergeben und wurde von Gott mit großen Gnaden beschenkt. 33 Jahre lang führte er ein abgesondertes Leben in einem kleinen Häuschen. Auf die Ermahnungen von Freunden, er könne einmal ohne Hilfe sterben, erwiderte er, er verließe sich ganz auf den Schutz der seligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria, sie werde ihn nicht verlassen. Als er dann wirklich eines Nachts in Todesgefahr geriet, ging er vor das Häuschen und schrie zu den Nachbarn, ihm zu helfen und geistlichen Beistand für ihn zu holen. Er starb danach ganz sanft, mit allem versehen.
Ein weiterer geistlicher Sohn Philipps war Thomas Siciliano. Er hatte einen so hohen Grad an Demut erreicht, dass es ihm als höchste Ehre erschien, die Kirche St. Peter im Vatikan mit dem Besen auszukehren. Dieses Amt übte er mit größtem Fleiß und höchster Gewissen-haftigkeit aus. Niemals verließ er tagsüber die Kirche, und in der Nacht schlief er neben einem Altar. Eines Nachts konnte der Teufel es nicht mehr ertragen und machte einen furchtbaren Lärm. Thomas stand eilends auf, zündete eine Kerze an und suchte die ganze Kirche ab, ob sich irgendwo ein Dieb versteckt hätte. Da sah er den Teufel in einer gräulichen Gestalt hinter einer Säule stehen. Unerschrocken lief er mit erhobener Hand auf ihn zu, um ihn zu ohrfeigen. Aber der „Vater der Hoffart“ verschwand beschämt. Thomas ging unbeeindruckt wieder an seinen Platz, um weiterzuschlafen.
Ein weiterer Schüler Philipps war Ludovicus von Spoleto, der zur Ehre des hl. Franziskus ein aschfarbenes Gewand trug. Sehr arm, war er jedoch reich an Tugenden. Er führte ein so reines Leben, dass ihm Philipp die Aufsicht über die Mädchen von St. Catharina de Rosa gab. Als er Philipp bat, ihn von diesem Amt zu befreien, gab ihm dieser die Erlaubnis nicht, da er die Beständigkeit in seinen Tugenden kannte. Philipp hatte noch viele andere geistliche Kinder in Christus; von einigen werden wir noch sprechen.
12. Der große Eifers Philipps, den Glauben auszubreiten
Der Eifer, Ungläubige zu bekehren, ist aber in Philipp nie erloschen: Was ihm nicht erlaubt war, in Indien zu tun, bemühte er sich eifrig, in Rom zu verwirklichen. Als er eines Tages zusammen mit Prospero Cribellio auf dem Weg in die Kirche St. Giovanni in Laterano war, schloss sich ihnen ein Jude an. Während die beiden vor dem Allerheiligsten Altarsakrament auf die Knie fielen, blieb der Jude, mit bedecktem Haupt stehen und kehrte diesem den Rücken zu. Philipp wandte sich zu ihm um und sagte: „Mein Freund, ich bitte dich, so mit mir zu beten: „Wenn du, Christus, wirklich Gott bist, so gib mir den Gedanken ein, Christ zu werden.“ Der Jude antwortete: „ Das sei mir fern, dass ich meinen Glauben in Zweifel zöge!“ Philipp bat die Anwesenden, für ihn zu beten, denn so würde er den Glauben ohne Zweifel annehmen. Auf das Gebet und die geistlichen Übungen Philipps und der Anderen ließ sich der Jude taufen und wurde ein Christ.
Am Vorabend des Festes Peter und Paul kam Marcellus Ferro, ein Priester und ebenfalls ein geistlicher Sohn Philipps, am Eingang von St. Peter mit zwei jungen Juden ins Gespräch und konnte sie überreden, Philipp in St. Hieronymus aufzusuchen. Sie waren so von Philipp beeindruckt, dass sie ihn mehrere Monate lang täglich besuchten. Als sie plötzlich nicht mehr erschienen, bat Philipp Marcellus, sie zu suchen. Er fand den Einen todkrank in der Wohnung seiner Mutter. Durch den Besuch aufgemuntert und durch das Gebet von Philipp und Marcellus gestärkt, wurde er wieder gesund und ließ sich, zusammen mit seinem Bruder, taufen.
Durch Philipp hatte auch ein sehr reicher Jude zum christlichen Glauben gefunden, der in St. Peter getauft worden war. Papst Gregor XIII. machte Philipp darauf aufmerksam, dass dieser durch den so häufigen liebevollen Umgang mit seinem Vater, der noch Jude war, Schaden nehmen könnte. Philipp antwortete ihm, er hoffe und vertraue darauf, dass der Vater durch die Gesellschaft des Sohnes ebenfalls ein Christ werde. Diese Hoffnung erfüllte sich bald, denn nachdem der Vater Philipp kennen gelernt hatte, ließ er sich, durch die Kraft seiner Worte überzeugt, ebenfalls taufen.
Viele Jahre später, als Philipp sich schon von St. Hieronymus nach Vallicella begeben hatte, ließ der oben genannte Jude seine vier Neffen, die keinen Vater mehr hatten, in der christlichen Religion unterrichten. Damit sie leichter den christlichen Glauben annehmen könnten, empfahl er ihnen Philipp als ihren geistlichen Vater. Dieser nahm sie liebevoll auf, sprach aber zu ihnen nicht über den Glauben. Nach längerer Zeit bat Philipp sie, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zu bitten, sie mit dem Licht der Wahrheit zu erleuchten, und versprach, Gott am nächsten Tag beim Hl. Messopfer in diesem Anliegen zu bestürmen. Die Jünglinge, die sich bisher gegenüber allen Ermahnungen und Beweisen der Patres verschlossen hatten, hörten in der Zeit, als Philipp die Hl. Messe las, zum ersten Mal den Patres wirklich zu. Einer von den Jungen bekam ein starkes Fieber, das innerhalb von sechs Tagen so sehr anstieg, dass die Patres befürchteten, er würde sterben. Sie überlegten, ob man ihn nicht taufen solle. Als aber Philipp am Abend kam, berührte er den Kranken an der Stirn und indem er eine Hand an seine Brust hielt, betete er lange für ihn. Dann sprach er zu ihm: „Ich will nicht, dass du an dieser Krankheit stirbst, sonst würden deine Leute womöglich sagen, die Christen hätten dich getötet. Man soll mich morgen daran erinnern, dass ich in der Hl. Messe Gott um deine Gesundheit anflehe.“ Einer der Umstehenden, die diese Worte gehört hatten, Petrus Consolino, redete dem Jungen gut zu: „Mein Sohn, du wirst von dieser Krankheit aufstehen, denn dieser fromme alte Pater hat schon vielen durch sein Gebet die Gesundheit wieder erlangt.“ In der Nacht wurde der Kranke sehr schwach, so dass der behandelnde Arzt den Tod befürchtete und verlangte, den Onkel zu benachrichtigen. Als die Stunde nahte, in der Philipp die Hl. Messe lesen wollte, fragte Consolino den Kranken, ob man Philipp an das Gebet erinnern solle, und dieser sagte: Ja! Kaum hatte Philipp das Hl. Messopfer vollendet, stand der Junge auf und setzte sich auf das Bett. Als der Onkel kam, fand er seinen Neffen ganz frei von Fieber. Der Doktor, der am Nachmittag kam, schrie vor Verwunderung auf, bekreuzigte sich und sagte: „Ihr habt «Doktores» im Haus und bemüht Fremde!“ Am Fest der heiligen Apostel Simon und Judas wurden die vier Jünglinge zur Freude Philipps von Papst Clemens VIII. in San Giovanni in Laterano getauft. Nach ihrer Taufe bemühten sie sich darum, auch ihre Mutter zum christlichen Glauben zu führen und konnten sie im Haus der Gräfin Julia Orsini unterbringen. Als sie Philipp um seine Meinung befragten, sagte er ihnen voraus, dass es noch Zeit brauche, bis sie den Glauben annehmen könne, und es jetzt noch nicht sinnvoll sei, sie zu drängen. Später wäre es für die Mutter und für sie selbst von größerem Nutzen. Nach etwa sechs Jahren erhielt sie mit weiteren 24 Verwandten die Taufe.
13. Philipp beauftragt Baronius, die Kirchengeschichte zu schreiben
Diese Arbeit, so betonte Baronius in der Vorrede zum 8. Band, sei nicht ihm sondern Philipp zuzuschreiben. Kurz vor seinem Tod hatte Philipp ihn ermahnt: „Caesar wisse, dass du dich demütigen und anerkennen sollst, dass deine Schriften nicht durch deine eigene Weisheit verfasst wurden, sondern ganz eine Gabe Gottes sind.“ Als Baronius bereits begonnen hatte, die Kirchengeschichte aufzuschreiben, war es noch seine Angewohnheit, bei den Predigten im Oratorium den Zuhörern mit lauter Stimme die Hölle für ihre Sünden anzudrohen und sie damit zu ängstigen. Philipp sagte ihm, er müsse diese Art zu predigen ändern, dann würde es ihm und den anderen mehr nützen. Er ermahnte ihn, die Schrecken des Todes und der Hölle zu lassen und mit der Erzählung der Kirchengeschichte zu beginnen. Baronius konnte das nicht einsehen und nahm diese Ermahnungen nicht an, bis Philipp ihm ernstlich befahl, jetzt zu gehorchen. Dadurch geriet Baronius in große Gewissensnot, aber Gott in seiner Güte half ihm durch ein Traumerlebnis: Er träumte, dass er Onófrius Panvinus traf, der ebenfalls begonnen hatte, eine Kirchengeschichte zu schreiben. Ihm erzählte er, was Philipp ihm befohlen hatte, und dass er deswegen Ängste ausstehe. Er bat ihn, das Werk weiter zu schreiben und legte ihm seine Gründe und Bitten vor. Plötzlich hörte er Philipps Stimme, die sagte: „Hör auf, Caesar, hör auf und widersetze dich nicht länger, denn du und nicht Panvinus musst die Kirchengeschichte schreiben!“ Baronius wachte auf, und da er den Willen Gottes vernommen hatte, widersetzte er sich nicht länger.
So wie Philipp es ihm befohlen hatte, trug er in den Predigten die Kirchengeschichte vor, von Christi Geburt bis in die Gegenwart. Er hat das Ganze innerhalb von dreißig Jahren, bis der 1. Band im Druck erschien, insgesamt sieben Mal vorgetragen, wie er selbst bezeugte. Das ganze Werk war in 12 Bänden aufgeteilt. Durch diese Arbeit hat er sich so verdient gemacht, dass Papst Clemens VIII. ihn im Jahr 1596 zum Kardinal erhob. Aus Demut hatte er schon vorher drei reiche Bistümer ausgeschlagen und nahm auch die Kardinalswürde nur widerstrebend an. Als er im 69. Lebensjahr, im Jahre 1607, den Tod nahen fühlte – er wohnte damals in Tusculum – sagte er: „Wir wollen nach Rom gehen, es ziemt sich nicht für einen Kardinal, auf dem Lande zu sterben.“ In Gegenwart der Patres der Kongregation ist er friedlich verstorben und unter großer Anteilnahme des Volkes in der Nerianer-Kirche beigesetzt worden. Aus den gleichen Gründen, aus denen Philipp Baronius die Kirchengeschichte aufschreiben ließ, veranlasste er ihn, das Römische Martyrologium zu ergänzen, und zwei Priester aus der Kongregation, Thomas Bozzius und Antonius Gallonius schrieben – der eine über die Wunder in der Kirche Gottes, der andere über das Leben der Heiligen.
14. Der Beginn des Oratoriums
Am besten hat uns Baronius diesen Anfang des Oratoriums beschrieben, der ihn selbst miterlebt hat. Im ersten Band seiner Chronik nimmt er Bezug auf die Briefe des hl. Paulus an die Korinther, in denen dieser von den Treffen mit verschiedenen Gemeinden berichtet. Baronius schreibt: „Es ist wahrhaftig aus göttlichem Ratschluss geschehen, dass auch in unserer Zeit, vor dreißig Jahren, eine solche „Apostolische Gesellschaft“ in der Stadt Rom entstehen konnte, begründet durch Philipp Neri, mit Unterstützung seines geistlichen Sohnes Franciscus Maria Taurusius. Unsere Gemeinschaft, die nun offiziell „Congregatio Oratorii“ (Kongregation des Oratoriums) genannt wird, hatte bei ihren Treffen einen festen Rahmen: Nach einem Gebet und einer kurzen Stille begann ein Bruder einen Text zu lesen, den ein Pater kommentierte, woraus sich ein Gespräch entwickelte. Danach las ein anderer Bruder von erhöhtem Platz aus ausgewählte Texte aus dem Leben der Heiligen, sowie aus der Hl. Schrift und den Schriften der Väter. Ein weiterer Bruder fuhr fort zu lesen, aber aus einer anderen Sichtweise. Ein dritter Bruder las einen fortlaufenden Text aus der Kirchengeschichte. Jeder hatte eine halbe Stunde Zeit zum Reden. Danach wurde gesungen und die Zusammenkunft endete mit einem Gebet. Diese Art von „Gebetstreffen,“ wurde zu einem Beispiel, wie man das Gleiche auch an anderen Orten beginnen kann.“ Baronius bezeichnet dies als Ursprung des Oratoriums.
Zu diesen täglichen Übungen fügte Philipp an den Festtagen noch andere hinzu. Er ermahnte seine geistlichen Söhne, dass diejenigen, die gebeichtet hatten und zur Kommunion gehen wollten, sich vor der Hl. Messe noch dem Gebet hingeben sollten. Nach der Hl. Messe schickte er sie in unterschiedliche Krankenhäuser und Spitäler, um den Kranken mit Wort und Werk beizustehen. Von ihnen gingen etwa 30 bis 40 Personen zusätzlich täglich zu den Kranken, um die Werke der Nächstenliebe zu üben. Darüber hinaus gingen etliche von ihnen an den Samstagen und den Vorabenden höherer Festtage zu Philipp, der sie in der Nacht abwechselnd nach „St. Maria sopra Minerva“ oder nach „St. Bonaventura“ auf dem Quirinal führte. Sie wohnten im Chor dem Stundengebet bei und verbrachten die Nacht im Gebet und in der Betrachtung, um am Morgen den Leib Christi würdiger und mit noch größerer Freude empfangen zu können. Philipp pflegte schon seit vielen Jahren die Nächte in verschiedenen Kirchen zuzubringen, ja, die Dominikaner hatten ihm sogar den Schlüssel für ihr Kloster anvertraut, damit er jeder Zeit in ihre Kirche gehen konnte.
Aber Philipp war das alles noch nicht genug. Um seinen Beichtkindern, vor allem den jungen Männern, die Gelegenheit zu sündigen zu nehmen – während der Fastnacht und nach dem Osterfest – besuchte er mit ihnen die sieben Hauptkirchen der Stadt Rom. (Auch jetzt noch ist das eine Gewohnheit unserer Brüder in Rom während der Fastnacht). Am Anfang gingen zwar nur wenige, etwa 25 –30 Personen mit, aber noch zu Lebzeiten Philipps wuchs die Zahl bis auf 2000 Menschen an. Jeder, welchen Standes auch immer, konnte mitgehen – außer den Frauen. Viele Ordensleute, Kapuziner und vor allem Dominikaner, die alle ihre Novizen schickten, waren dabei.
Der Besuch der sieben Kirchen fand auf folgende Weise statt: Am festgelegten Tag versammelten sich in der Früh alle in St. Peter und gingen nach St. Paul vor den Mauern, um von dort aus zu den übrigen Kirchen zu ziehen. Sie waren in Gruppen eingeteilt; jede wurde von einem Priester begleitet. Ein Teil der Zeit war der Betrachtung einer vorgeschriebenen Textes und eines Spruches gewidmet. In der übrigen Zeit wurden, begleitet von den mitgehenden Musikanten, Psalmen, geistliche Lieder und Litaneien gesungen. Wenn gegen Abend noch Zeit blieb, wurden geistliche Gespräche geführt. Außer in St. Peter und in St. Paul wurden in den Kirchen kurze Predigten gehalten. In St. Sebastian oder in St. Stephan wurde eine Hl. Messe gelesen, bei der fast alle die Kommunion empfingen. Von dort aus zogen sie entweder zum Weinberg der Massimi oder Crescenzi oder zum Garten der Mattei. Wenn alle saßen, bekamen sie Brot, Wein und Wasser, soviel sie benötigten, ein Ei und etwas Obst. Während des Essens spielten die Musikanten geistliche Lieder. Danach ging man zu den übrigen Kirchen, und wenn diese „geistliche“ Reise zu Ende war, ging jeder, erfüllt von großer Freude, wieder nach Hause.
Philipp ging bei diesen Kirchenbesuchen immer voraus. Er strengte sich dabei so sehr an, dass er oft durch die Erschöpfung Fieber bekam. Doch in den letzten Lebensjahren blieb er wegen seines Alters, aber auch, weil alles schon seine Ordnung hatte, zu Hause und verrichtete andere Werke der Frömmigkeit. Wie lieb Gott dieses Werk war, wollen wir an einem Beispiel zeigen: Eines Tages, während der Fastnacht, war Philipp mit den Seinen auf dem Weg von St. Paul nach St. Sebastian, als unversehens ein Unwetter losbrach, so dass alle flüchten wollten. Philipp aber rief: „Bleibt stehen und habt Vertrauen, ich verspreche, dass keinem, der mit mir weitergeht, irgendetwas geschehen wird!“ Die einen haben vertraut, andere nicht – die bei Philipp geblieben waren, hat kein Tropfen berührt, diejenigen jedoch, die geflohen waren, gerieten in einen fürchterlichen Platzregen.
Die oben genannten Übungen, die Philipp eingeführt hatte, wurden von berühmten und gelehrten Männern in Wort und Schrift hoch gelobt. Besonders Johannes de Rossi hat im Jahre 1568 dies in seinem Buch ausführlich beschrieben.
15. Philipp übernimmt die Verwaltung der Florentinischen Kirche
Drei seiner geistlichen Söhne ließ Philipp zu Priestern weihen: Caesar Baronius, Johannes Franziskus Bordino, der von Papst Clemens VIII. später zum Erzbischof von Avignon ernannt wurde, und Alexander Fedeli à Ripa Transona. Diese Drei und noch einige andere schickte Philipp nach St. Johann und übergab ihnen die Sorge für die Pfarrei. Dazu gesellte sich der Neffe von Alexander mit Namen Germanicus Fedeli, der erst 16 Jahre alt war. Nach kurzer Zeit kamen noch Franziskus Maria Taurusius und Angelus Velli aus Palestrina dazu, ein sehr heiliger Mann; er folge Philipp in der Leitung der Kongregation nach. Diese Männer begannen mit großem Eifer ihre Arbeit im Weinberg des Herrn. Jeden Tag gingen sie in aller Frühe nach St. Hieronymus, um zu beichten. Und bei jedem Wetter begaben sie sich sowohl am Nachmittag wie am Abend wieder nach St. Hieronymus, um dort alle geistlichen Übungen mitzumachen. In ihrem Haus verrichteten sie viele Jahre lang abwechselnd, mit viel Freude, den Dienst in der Küche: Baronius wurde oft, mit einer Schürze versehen, von den Besuchern beim Spülen der Töpfe angetroffen. Er hinterließ am Kaminabzug folgenden Satz: „Caesar Baronius, coquus perpetuus“ (der ewige Koch). Bei Tisch wurde am Mittag oder Abend aus der Hl. Schrift oder aus Schriften eines anderen geistlichen Autors gelesen und danach ringsum Fragen gestellt, entweder zur Moral oder zur Theologie. An den Samstagen kehrten sie selbst die Kirche aus. An den Festtagen hörten die Priester Beichte und teilten die Kommunion aus. Auf die dringenden Bitten der Florentiner gestattete Philipp, dass Baronius und Bordinus abwechselnd nach dem Amt noch eine Predigt hielten. Die Vesper wurde zur gewohnten Stunde gesungen, und anschließend gingen sie an den Ort im Freien, den Philipp ihnen genannt hatte. Dort entwickelte sich aus einer von Philipp oder von jemand anderem vorgebrachten Frage oder einem Argument ein geistliches Gespräch. Daher kommt der Brauch, am Oster-Montag auf den Hügel Janiculus zu gehen, in die Nähe des Klosters St. Onophrius: Ein luftiger, schön gelegener Ort mit einem herrlichen Blick auf die unten liegende Stadt. Bei großer Hitze suchten sie für ihre Übungen eine Kirche innerhalb der Mauern Roms auf. Nach einer einleitenden Musik trug ein Junge auswendig ein Gebet und einen kurzen Text vor. Nach einem weiteren Musikstück hielten zwei Priester aus dem Oratorium kurze Predigten für das Volk. Zur Winterzeit, vom 1. November bis Ostern, trafen sie sich zur Abendzeit im kleinen Oratorium. Nach einem stillen Gebet und gesungenen Litaneien und einem Lobpreis zu Ehren der Muttergottes trug ein Junge ein Gebet vor. Anschließend folgte ein Vortrag von einer halben Stunde, den einer vom Oratorium hielt. Immer aber wurde mit Musik begonnen und geendet.
Die Gewohnheit, drei Mal am Tag von St. Johann nach St. Hieronymus zu gehen, behielten die ersten Patres zehn Jahre lang bei. Im Jahr 1574 baten die Florentiner Philipp, nachdem sie von den vielen Schwierigkeiten erfahren hatten, denen die Priester ausgesetzt waren, dass er die geistlichen Übungen von St. Hieronymus nach St. Johann verlegen möge. Philipp stimmte dem zu. Vom 15. April desselben Jahres an hielten die Patres in den dafür umgestalteten Räumen des Oratoriums von St. Johann auf gewohnte Weise ihre Predigten und Übungen.
16. Philipp wird auf verschiedene Weise in der Geduld geübt
Philipp verhielt sich trotz all dieser Vorfälle ihnen gegenüber freundlich und betete für sie. Er wurde von den Seinen wiederholt gebeten, diesen Ort zu verlassen, doch seine Antwort lautete: „Nein, das werde ich nicht tun! Man soll nicht meinen, ich würde vor dem Kreuz fliehen, das der Herr mir an diesem Ort auferlegt hat.“ Aber je sanfter und milder er versuchte, ihre Hartnäckigkeit zu durchbrechen, desto boshafter wurden sie. Als er merkte, dass er nichts ausrichten konnte, suchte er Zuflucht beim Herrn. Während er wie gewohnt die Hl. Messe las, schaute er auf das Kreuz und betete zum Herrn: „Warum, mein gütiger Jesus, warum erhörst Du mich nicht? Ich habe Dich so lange, so inniglich und so eifrig um die Tugend der Geduld gebeten, warum willst Du mein Gebet nicht erhören?“ Da hörte er im Innern eine Stimme: „Du hast von mir die Tugend der Geduld erbeten. Du sollst wissen, dass du sie erlangen wirst, aber durch Schmach und Widerwärtigkeiten.“ Durch diesen göttlichen Zuspruch gestärkt, verhielt er sich noch liebevoller und geduldiger gegenüber diesen Männern, so dass sie fast müde wurden, ihm weiterhin Böses zuzufügen. Wenn sie ihn durch Worte beleidigen wollten, lachte er darüber oder bemühte sich, den, der ihn beleidigt hatte, zu entschuldigen.
Zwei Jahre waren vergangen, als einer der oben genannten entlaufenen Mönche Philipp mit solchem Hass und solcher Grausamkeit angriff, dass der andere Mönch, der dabei war, Philipp zu Hilfe kam. Er packte den Übeltäter und würgte ihn so sehr, dass dieser, ohne Philipps Eingreifen, erstickt wäre. Dabei hielt er ihm vor, wie gottlos er sich eben Philipp gegenüber verhalten habe. Er selbst erinnerte sich jetzt seiner Ordensgelübde und erzählte Philipp seine Geschichte von Anfang an. Von Philipp ermahnt, unterwarf er sich wieder der klösterlichen Zucht und Ordnung. Auch Vincentius Teccosi hat sich unter Philipps Einfluss bekehrt und bat ihn, im Beisein vieler, um Verzeihung. Ja, er schätzte ihn so sehr, dass er ihn zum Beichtvater erwählte und beinahe jeden Tag aufsuchte.
Damit aber waren die durch Neid verursachten Angriffe gegen Philipp noch nicht zu Ende. Man warf ihm, im Zusammenhang mit dem Besuch der sieben Kirchen, Hoffart und Stolz vor: Es stünde jemandem, der so bescheiden lebe und angeblich alle Pracht der Welt verachte, nicht zu, die Augen der ganzen Stadt auf sich zu ziehen, wenn er mit einer so großen Volksmenge durch die Straßen pilgerte. Andere schauten missgünstig auf das viele Geld, das für das Essen ausgegeben wurde, bedachten dabei aber nicht die vielen Menschen, die mitgezogen waren, und sprachen von Völlerei. Die etwas Intelligenteren befürchteten, unter dem Vorwand der Störung der öffentlichen Ordnung und des Friedens, eine Gefahr des Aufruhrs durch eine so große Volksansammlung. Philipp wurde das alles gemeldet, er aber ertrug es, ohne sich beunruhigen zu lassen. Die Anklagen dieser Leute gegen Philipp wurden immer lauter, so dass sie auch den Kardinalvikar erreichten, der, aufgehetzt durch die Missgünstigen, Philipp zu sich kommen ließ. Er fuhr Philipp scharf an: „Schämst du dich nicht, du als einer, der die Verachtung der Welt gewählt hat, Lob und Ruhm des Volkes zu sammeln? Du gehst, begleitet von einer großen Volksmenge, durch die Stadt und versuchst auf diese Weise, Ehre und Ruhm der Kirche an dich zu ziehen.“ Nachdem er ihn mit ähnlich scharfen Worten zu Recht gewiesen hatte, verbot er ihm: Er dürfe 15 Tage keine Beichte hören, die Übungen des Oratoriums nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis fortsetzen und keine Ansammlung von Menschen mit sich führen. Wenn er nicht gehorche, käme er ins Gefängnis. Ja, er ließ ihn nicht eher gehen, bevor Philipp nicht versprochen hatte, vor Gericht zu erscheinen.
Philipp antwortete mit friedlichem und heiterem Gesicht: Wie er alle Dinge zur Ehre Gottes angefangen und durchgeführt habe, so sei er auch bereit, alles zur Ehre Gottes wieder aufzugeben. Er werde den Ermahnungen der Oberen gehorchen. Der Brauch, die Kirchen aufzusuchen, sei von ihm eingeführt worden, um die Seinen während der Fastnacht vor dem Sündigen zu bewahren. Darauf fuhr der Kardinalvikar ihn an: „Du tust dies nicht zur Ehre Gottes, sondern um Anhänger zu gewinnen!“ Philipp sagte, während er auf das Kreuz schaute, das im Raum hing: „Du weißt, o Herr, ob ich dies tue, um Anhänger zu gewinnen oder um dir zu dienen.“ Und nach diesen Worten ging er weg. Philipp, der vor allem den Gehorsam gegenüber den kirchlichen Oberen hoch achtete, verbot seinen Schülern, zu ihm zu kommen. Philipp übergab sich ganz dem Herrn und bat auch andere, inständig für ihn zu beten.
Eines Tages erschien plötzlich einigen Dienern Gottes ein Priester in einer rauen Kutte, mit einem Strick umgürtet, der weder vorher noch nachher je wieder gesehen wurde. Dieser sagte: „Ich wurde zu euch gesandt: Setzt während einem vierzigstündigen Gebet das Allerheiligste dem Volk zur Anbetung aus. Unter diesem Schutz werden die Verfolgungen ganz und gar verschwinden.“ Anschließend ging der Priester zu Franciscus Maria Taurusius und flüsterte ihm ins Ohr: „Diese Plage wird wirklich bald vergehen, und das angefangene Werk wird anerkannt werden. Die jetzt dagegen streiten, werden sich dafür einsetzen. Und wenn sich einer untersteht, länger Widerstand zu leisten, wird Gott ihn strafen. Der Kardinalvikar aber, der so gegen euch ist, wird innerhalb von 15 Tagen sterben.“ Während der missgünstige Statthalter die Angelegenheit dem Papst vortrug, starb er eines plötzlichen Todes. Als Philipp von seinem Tod erfuhr, hatte er Erbarmen mit seiner Seele und erlaubte niemandem, ein abschätziges Wort über diesen Menschen zu äußern. Philipp musste bei der Obrigkeit Abbitte leisten, hatte aber nichts anderes als seine Unschuld vorzuweisen. Er betete noch inständiger. Zu den Seinen sagte er oft: „Nicht euretwegen, sondern meinetwegen ist diese Verfolgung entstanden, denn ich soll auf diese Weise in den Tugenden der Demut und des Gehorsams unterwiesen werden. Wenn ich darin die von Gott erwünschte Frucht hervorgebracht haben werde, werden die Verfolgungen bestimmt zu Ende sein.“
Als Papst Paul IV. die ganze Geschichte gehört und Philipps Unschuld erkannt hatte, ließ er ihm, zum Zeichen seines Wohlwollens, zwei vergoldete Kerzen bringen, die am Fest Maria Reinigung in der päpstlichen Kapelle gebrannt hatten. Dabei ließ er ihm verkünden: Er dürfe nicht nur die sieben Kirchen besuchen, sondern habe auch die Erlaubnis, alle Übungen seines Institutes durchzuführen. Der Papst weiter: Es tue ihm leid, dass er nicht persönlich hingehen könne, aber er bitte Philipp, für ihn zu beten. Als Philipps Schüler und geistliche Söhne dies hörten, freuten sie sich sehr und begannen nach wenigen Tagen wieder die sieben Kirchen zu besuchen, Gott lobend und preisend, dass sie wieder alle Übungen des Institutes durchführen durften.
Einige Jahre danach, im Jahr 1570, begann eine noch heftigere Verfolgung gegen das Institut: Unter dem Deckmantel von Sorge um das geistliche Leben und von Gottesfurcht wurde bei Papst Pius V. Anzeige gegen die Prediger in St. Hieronymus erhoben: Sie würden oft leichtsinnig und unachtsam oder über nicht bewiesene Dinge predigen. Das würde entweder von großem Unverstand oder von Unwissenheit zeugen und den Zuhörern großen Schaden zufügen. Darauf berief Pius V. zwei Theologen aus dem Orden der Dominikaner und befahl ihnen, sich nach St. Hieronymus zu begeben. Sie sollten alles, was dort gesagt und getan wurde, gründlich prüfen, ob es dem Glauben und den guten Sitten entspräche. Während die beiden Dominikaner eifrig dem Befehl des Papstes nachkamen, erzählte Pius V. eines Morgens dem Alexander Medici (später Leo XI.), es sei ihm berichtet worden, dass die Patres von St. Hieronymus unverständig und geistlos predigen würden. Sie würden z. B. über die hl. Apollonia sagen, sie habe sich freiwillig ins Feuer geworfen und dabei nicht erwähnt, dass der Heilige Geist sie dazu getrieben hatte. Alexander ging nach diesem Gespräch in die Kirche St. Maria sopra Minerva, um die Predigten zu hören. Dort kam ihm Germanicus Fedeli entgegen, um ihn im Namen Philipps zu bitten, zu ihm zu kommen, der selber krank im Bett läge – er hätte etwas Wichtiges mit ihm zu besprechen. Bevor er am Nachmittag zu Philipp ging, hörte er den Predigern zu, unter denen auch Franciscus Maria Taurusius war: Dieser sprach über das Leben der hl. Apollonia, und durch seine geistvolle Predigt wurden alle Vorwürfe, von denen der Papst gesprochen hatte, widerlegt. Anschließend besuchte er Philipp, der ihn sogleich fragte, über welche Angelegenheiten des Oratoriums er mit dem Papst gesprochen habe. Alexander erschrak und konnte sich nicht erklären, auf welche Weise Philipp davon erfahren haben konnte, und er unterrichtete ihn ausführlich über alles.
Die beiden vom Papst in das Oratorium geschickten Dominikaner hatten aufmerksam zugehört und alles beobachtet. Sie berichteten dem Papst nur Gutes. Dieser war hoch erfreut, dass es zu seiner Zeit in Rom so fromme Priester gab, die täglich das Wort Gottes zum Nutzen so Vieler verkündeten. Von da an standen Philipp und seine geistlichen Söhne beim Papst in hohem Ansehen. Papst Pius V. gab Alexander, dem Kardinal, der als Legat zu den Königen von Spanien, Frankreich und Portugal reisen sollte, Taurusius als Begleiter an die Seite. Die Dominikaner waren vom Oratorium so eingenommen, dass sie jahrelang fast täglich zu den Predigten und geistlichen Gesprächen kamen – zeitweilig auch selber predigten. Außer den Dominikanern kamen auch noch Mitglieder anderer Ordensgemeinschaften.
17. Die Kongregation des Oratoriums wird gegründet
Eines Morgens, vom Geist geführt, befahl Philipp, die Kirche abzubrechen und völlig neu zu bauen, so wie wir sie heute noch sehen. Als die Kirche abgerissen war und der Baumeister Matteo von Castello gerade beginnen wollte, den Grundriss auszumessen, kam von Philipp ein Bote: Er möge mit dem Ausmessen auf ihn warten, bis er die Hl. Messe gelesen habe. Als Philipp nach der Hl. Messe ankam und sie begannen, die Länge der Kirche auszumessen, bat er drei Mal den Baumeister, den Grundriss zu verlängern, bis er zu der Stelle kam, die ihm vom Himmel her gezeigt worden war. Da sagte er: „Hier steh still, hier grabt die Erde auf!“ Als sie nun zu graben begannen, fanden sie unter den Resten eines eingefallenen Gebäudes eine feste und sehr alte Mauer auf der Evangelienseite, zehn Spannen breit, die weit über die Länge der Kirche reichte; außerdem eine Menge Steine und Ziegel, mit denen sie den Grund legen und die rechte Mauer hochziehen konnten. Am 17. September 1575 wurde durch den Erzbischof von Florenz, Kardinal Alexander Medici, (später Leo XI.) feierlich der Grundstein gelegt. Als der Bau voranschritt, hörten die Anfeindungen und Angriffe nicht auf: Die Patres des Oratoriums wurden verleumdet, und die Handwerker sowie Johannes Antonius Lucci und der Baumeister wurden mit Schleudern angegriffen und mit Steinen beworfen. Alle, die dem Bau heftig Widerstand geleistet hatten, starben innerhalb von zwei Jahren. Nachdem im Jahr 1577 die Kirche gebaut war, hielt Alexander Medici am 3. Februar, Sonntag Septuagesima, ein festliches gesungenes Hochamt. Der Papst verlieh allen, die am selben Tag die Kirche besuchten, einen vollkommenen Ablass. Im Monat April desselben Jahres verließen die Patres das Oratorium der Florentiner und begannen alle Gottesdienste, Predigten und Bräuche in Vallicella zu halten. Philipp aber blieb in St. Hieronymus.
Da ihre Wohnung für die schnell wachsende Gemeinschaft nicht groß genug war, beschlossen die Patres, das Kloster, das ganz nahe bei der Kirche lag und das die Schwestern auf Befehl ihrer Oberin verlassen hatten, zu kaufen. Philipp, der in die Zukunft sah, war nicht einverstanden damit. Doch einige der Seinen begannen die Sache in Angriff zu nehmen, indem sie sich nur auf den Rat menschlicher Weisheit verließen. Aber nichts ging vorwärts. Philipp sagte ihnen: „Habe ich euch nicht oft gesagt, dass dieses Kloster nicht gekauft werden soll? Das Kloster werdet ihr bekommen, aber auf andere Weise als ihr denkt.“ Seine Voraussage traf wirklich zu: Nach fünf Monaten kaufte Kardinal Cesi, der sehr freigiebig war, dieses Kloster und noch daneben liegende Gebäude und schenkte sie den Patres als Wohnung.
Welch großes Vertrauen Philipp in Gottes Vorsehung hatte, besagt schon allein, dass er ein so großes Werk begann, ohne Geld zu haben, und es innerhalb von zwei Jahren beendete. Wenn kein Geld mehr da war, sagte er: „Gott, der Allmächtige, wird schon helfen.“ Und zu einer der vornehmsten Frauen in Rom sagte er: „Du sollst wissen, hohe Frau, dass zwischen mir und der Jungfrau und Gottesgebärerin Maria eine Abmachung besteht, dass ich nicht sterben werde, bevor das Dach der Kirche fertig ist.“ Daher meinten viele, weil er nichts von ihnen wollte und doch täglich hohe Summen verbrauchte, es wäre ihm Geld vom Himmel gebracht oder vermehrt worden.
Die erste Summe, die am Beginn dieses Werkes nötig war, kam von Carlo Borromeo – 200 Dukaten, denen Gregor XIII. 8000 hinzufügte. Ebensoviel legte Petrus Donatus Kardinal Cesi dazu. 30 000 und noch mehr gab Bischof Angelus Cesi, der leibliche Bruder des Kardinals, zum Bau und Schmuck der Vorderseite der Kirche und fügte noch 4000 für eine Kapelle zu Ehren Maria Opferung hinzu. Weitere 4000 schenkte Kardinal Federigo Borromeo. Das übrige Geld, weit über 100 000 Dukaten, schickte Gott aus anderen Quellen. Als Beispiel dafür, dass Philipp niemals um etwas bat, soll folgendes berichtet werden: Ein Bruder aus der Kongregation, der für den Bau zuständig war, sprach Philipp an: „Vater, es ist kein Geld mehr da, und die Mauern reichen noch nicht einmal bis zum Gesims.“ Worauf Philipp antwortete: „Du sollst nicht zweifeln, denn der Allmächtige Gott wird seine Kinder nicht verlassen!“ Der Bruder machte ihn darauf aufmerksam, es sei ein sehr reicher Mann in der Stadt, der die Gewohnheit habe, einen Großteil seines reichen Erbes für geistliche Dinge zu verwenden. Wenn einer ihn aufmerksam machen würde, wie notwendig dieses Gebäude sei, würde er vielleicht eine große Summe schenken. Philipp antwortete: „Dieser Mann weiß sehr wohl, was dem Werk und dem Bau fehlt. Wenn er etwas geben will, wird er es freiwillig tun. Ich habe bis jetzt niemals etwas erbeten, und es hat nie etwas gefehlt.“ Nach etlichen Monaten starb ein Advokat, der der Kongregation 4000 Dukaten hinterließ, und nicht lange danach ein weiterer Advokat, der ihnen 8000 Dukaten vererbte. Auf diese Weise schien Gott zu zeigen, wie wohlbegründet die Maxime Philipps war, nie etwas zu verlangen.
18. Philipp begibt sich nach Vallicella
Den ganzen Hausrat trug man auf den Schultern oder in den Händen von St. Hieronymus nach Vallicella. Philipp hing bis an sein Lebensende an St. Hieronymus und seiner dortigen Wohnung, sodass er den Schlüssel zu seinem Zimmer behielt, um von Zeit zu Zeit dorthin gehen zu können.
19. Ordnung und Konstitutionen des Oratoriums
Nachdem Philipp das Amt angenommen hatte, sagte er: Wer sich ganz der Kongregation „ergeben“ wolle, sollte dennoch die Lebensweise der Weltpriester beibehalten und sich niemals durch ein Gelübde oder einen Eid binden. Wenn einer auf höhere Weise leben wolle, fände er in den Klöstern Möglichkeiten genug, diesen Wunsch zu verwirklichen. Für die Kongregation sei es genug, wenn die in ihr Lebenden einander in der Liebe Christi dienen, für ihr eigenes Heil und das der Nächsten Sorge tragen und sich nach Kräften auf das Gebet, die Verkündigung und die Förderung des häufigen Empfangs der Sakramente beschränken würden. Philipp hatte mit einhelliger Zustimmung der Patres und mit der Unterstützung von Gelehrten, darunter Kardinal de la Rovere, einem besonders erfahrenen und weisen Mann, Konstitutionen und Regeln verfasst, die sich mehr als 30 Jahre in der Ausübung bewährten und endlich durch Papst Paul V. durch ein Apostolisches Breve am 14. Februar 1612 approbiert und bestätigt wurden.
Durch Philipp wurde in der Stadt Rom eine ganz neue Art zu predigen wieder entdeckt, nämlich das Evangelium jeden Tag allgemein verständlich und volkstümlich zu verkünden. In Vallicella ließ Philipp, wie in St. Hieronymus und im Florentinischen Oratorium, jeden Tag, außer Samstag, nach vorheriger geistlicher Lesung, vier halbstündige volkstümliche Reden und Predigten halten. Dann erklang Musik, nach der das Volk entlassen wurde.
Philipp war bei diesen vier Predigten viele Jahre lang anwesend, ebenso andere Priester und Schüler des Oratoriums, während er im Oratorium St. Hieronymus noch täglich selbst gepredigt hatte. Er wollte bei diesen Predigten keine zu hohen und schwierigen Themen. Die Prediger sollten etwas aus dem Leben der Heiligen, den Gesprächen und Dialogen des hl. Gregor vortragen, und die Kirchengeschichte fortsetzten. Statt zu ermahnen sollten sie in den Zuhörern die Liebe zur Tugend und den Hass gegen die Sünden wecken. Auch sollten die Prediger immer Beispiele und Geschichten anführen. Wenn Philipp hörte, dass sie spitzfindige oder seltsame Fragen berührten, so ließ er sie sogleich vom Katheder steigen, auch wenn sie mitten im Vortrag waren. Damit sie aber von dieser volkstümlichen Weise zu predigen nicht abwichen, ließ er nicht zu, dass sie sich allzu sehr in das Studium vertieften. Auch bei Baronius, der die Kirchen-Geschichte zu schreiben hatte, ließ er es niemals zu, dass dieser das Studieren anderen Pflichten vorzog. Philipp wollte damit nicht das Studium verwerfen. Er wollte vielmehr erreichen, dass man allem, was das Institut der Kongregation betraf, den Vorrang gab. Er pflegte zu sagen, dass ein Diener Gottes zwar den Studien und den wissenschaftlichen Arbeiten mit Fleiß nachkommen solle, aber nicht, um damit zu glänzen. Die Erkenntnis der Heiligen Schrift werde mehr durch das Gebet als durch das Studium erworben.
Zu den täglichen Predigten kam ein intensives Gebetsleben. Philipp ließ jeden Abend um 17 Uhr das Oratorium öffnen, sodass jedermann Zugang hatte (ausgenommen die Frauen). Nach einer halben Stunde des inneren Gebetes und der Betrachtung folgten Litaneien und andere gesprochene Gebete. Dann verließ man wieder das Oratorium. Am Montag, Mittwoch und Freitag aber empfahl er, sich zum Gedächtnis an das Leiden Christi zu geißeln – aber jeder nach seinem freien Willen. Philipp verlangte, dass alle Priester des Oratoriums täglich die Hl. Messe feierten, aber manchmal verbot er dies Einzelnen aus erzieherischen Gründen: Er ermahnte sie, um die Anwesenden nicht zu verdrießen, mehr auf die Kürze zu achten; sie sollten aber immer für eine so „hohe Sache“ eine angemessene Zeit verwenden. Würde einer von ihnen merken, dass der Geist Gottes ihn während der Hl. Messe stärker erfassen wolle, so mahnte Philipp, solle er sagen: „Nicht hier, o Herr, nicht hier – ich will mit Dir in meiner Zelle sein.“ Von den Laienbrüdern aber wünschte er, dass sie drei Mal in der Woche beichteten und nach dem Rat des Beichtvaters kommunizierten. Die Beichtväter endlich ermahnte er, dass sie alle Festtage und mittwochs und freitags öffentlich in der Kirche Beichte hörten. An den übrigen Tagen sollte wenigstens einer von ihnen zum Beichthören anwesend sein.
Im Hauswesen sollte es nach dem Willen Philipps „normal“ zugehen, nichts Ausgefallenes zugelassen sein. Während den Mahlzeiten wurde eine Lesung vorgetragen, die die Hälfte der Zeit in Anspruch nahm; danach wurden in der restlichen Zeit, zwei Fragen aus der Theologie, aus der Heiligen Schrift oder der Geistes-Wissenschaft und Moral vorgetragen. Philipp wollte, dass jeder seine Meinung dazu äußern konnte, bescheiden und mit wenigen Worten. Dies waren die wichtigsten Anordnungen, die Philipp für die Kongregation beschlossen hatte, und die in vielen Städten Italiens und anderen Ländern in den Instituten eingeführt wurden. Vor allem aber war Philipp der Meinung, dass jedes Haus, das nach dem Vorbild des römischen Institutes gegründet wurde, selbstständig und dem örtlichen Bischof unterstellt sein sollte. Man sollte nicht denken, es sei dem römischen Haus untergeordnet oder mit ihm verbunden. Zu diesen Konstitutionen und Anordnungen gibt es zwei Bullen: eine von Papst Paul V. und eine von Papst Gregor XV.
Im Übrigen kümmerte sich Philipp kaum um die Zunahme der Mitglieder seiner Kongregation. Es kamen jeden Tag intelligente junge Männer zu ihm, die er entweder in andere Ordensgemeinschaften schickte oder ihnen riet, in der Welt zu bleiben, so wie es ihm für ihr Seelenheil am besten erschien. Selbst wenn alle die Kongregation verlassen hätten, hätte er sein Vertrauen nicht verloren, er wiederholte oft: „Gott bedarf der Menschen nicht, denn ER kann auch aus Steinen Kinder Abrahams erwecken“ (Mt 3,9). Er nahm es niemals übel, wenn andere versuchten ein Werk zu beginnen, das dem seinen ähnlich war. Als jemand ihm berichtete, dass einige Geistliche in ihren Kirchen den Brauch der täglichen Predigten eingeführt hatten, antwortete er: „Soll man denn dagegen sein? O, wollte Gott, dass alle predigten und Gottes Wort verkündeten.“
Philipp führte die Kongregation immer mit großer Weisheit, und durch sein Verhalten und sein Beispiel wurden die Seinen durch das Band der Liebe zusammengehalten. Er sagte, es sei schwerer als man glaube, freie Menschen auf längere Zeit in Einheit zu bewahren: Aber es sei doch möglich, dies durch verständnisvolle Güte im Tun und Lassen und das rechte Gespür im Umgang und Befehlen zu verwirklichen. Doch wenn es nötig wurde, war er niemals nachlässig oder zu weich im Befehlen oder in seinen Anordnungen. Er leitete die Seinen allein durch einen Wink der Augen, und es genügte ein ernster und strenger Blick, um jemanden zu ermahnen. Ungehorsam hasste er so sehr, dass es ein Grund war, jemanden aus der Kongregation zu entlassen. Er schrieb: „Wenn einer vielleicht meint, er könne wegen schlechtem Essen oder den Aufgaben in den Kirchen oder geistlichen Ämtern nicht weiterkommen – ja, wenn er seine Mitbrüder verwirrt, verlasse er alsbald freiwillig die Kongregation. Wenn einer wiederholt fallen sollte, muss er endgültig weggeschickt werden. Denn das ist gewiss, liebe Patres, ich will nicht, dass solche bei uns behalten werden, die die wenigen Befehle, die in unserem Institut gegeben werden, nicht befolgen.“
Damit aber nun jeder lerne, seinen Eigenwillen abzulegen, wurden sie zu ganz ungewöhnlichen Stunden, die manchen widersinnig erschienen, zu ihren Aufgaben und Verpflichtungen geschickt. Und sobald sich jemand auch nur ein wenig verspätete oder zögerte, wurde es ihm noch öfter befohlen, damit der Eigenwille gebrochen und ihre Demut gestärkt werde. Was für einen Fortschritt im Erwerb der Tugenden Philipp von den Seinen verlangte, zeigt ein Ausschnitt aus einem Brief, den Kardinal Baronius aus Ferrara, wo er sich mit Clemens VIII. aufhielt, an den Präfekten der Schüler und Novizen in Rom sandte: „Ich sollte mich schämen, dass ich dir nicht früher geschrieben habe, wenigstens um mich zu bedanken, dass du für mich zu Gott gebetet hast. Ich bitte dich, dass du mitsamt deinen Schülern, meinen lieben Kindern, die in der Gottesfurcht täglich wachsen mögen, dies weiterhin tust. Fahre fort, lieber Pater, fahre fort, diese jungen Pflanzen nach dem Beispiel und auf die gleiche Weise wie jener große Baum, dessen Schösslinge sie sind, zu erziehen, so wie du erzogen worden bist, in der Gewissheit, als ob unser seliger Vater noch lebe, und habe für die Bösen auch eine Rute in der Hand. Was mich selbst betrifft, wünschte ich von dir, ehrwürdiger Pater, dass du mich unter deine Schüler aufnehmen und meine Fehler unverzüglich rügen wollest, ohne mir irgendeine Rücksicht zu zeigen. O, wollte Gott, ich würde noch einmal auf jene Weise jung sein und das prophetische Wort könnte sich an mir erfüllen: Wie dem Adler wird dir deine Jugend erneuert. (Ps 105,3) (…) Unser Vater war noch im Alter mit solcher Glut erfüllt, dass er selbst meinte, er verbrenne ganz und gar. (…) Wollte Gott, ich wäre würdig, in diesem, meinem kalten Alter Gottes Umarmung zu genießen. Dies erbitte mir durch euer Gebet zu Gott dem Allmächtigen. Das vor allem hat mich bewegt zu schreiben. Also wolle Gott dich trösten und heilig machen! Ferrara, den 14. August 1598, Kardinal Caesar Baronius“.
Im Hauswesen wollte Philipp, dass sorgfältigst darauf geachtet wurde, nicht das Geringste zu verschwenden – die Güter der Kongregation seien ein Erbteil Christi und der Gewinn der Armen. Daher achtete er darauf, dass nur für unbedingt Notwendiges Geld ausgegeben wurde. Und er brachte als Beispiel, was Cassian über einen Koch schreibt, der von den Vätern scharf getadelt wurde für den Verlust von drei Linsenkörnern. Als ein weiteres Beispiel führte er den hl. Antonin, Erzbischof von Florenz, an, der nachts in der Kirche beim Schein des Ewigen Lichtes studierte, um wie er sagte, den Armen nichts zu entziehen. Wenn einer das für zu streng hielt, antwortete er: „Hört auf zu zweifeln, denn alle Güter gehören Gott. Es handle jeder nach seinem Gewissen.“
20. Gehorsam und Ehrerbietung der Seinen
Baronius hatte einen so schwachen Magen, dass er überhaupt keine Speisen mehr ohne Beschwerden vertrug. Außerdem hatte er solche Probleme mit dem Kopf, dass Philipp ihm das Beten und alles, was ihn sonst noch ermüdete, verboten hatte. Als er eines Tages, wie gewohnt, nach dem Mittagessen zu Philipp ins Zimmer kam, deutete dieser auf eine Limone und ein großes Stück Brot: „Caesar, nimm diese Limone und das Brot und iss beides in meiner Gegenwart.“ Sofort machte Baronius das Kreuzzeichen und aß im Gehorsam beides auf. Nach kurzer Zeit waren Magen und Kopf wieder gesund. Baronius erzählt auch, dass er in den neun Jahren, in denen er auf Befehl Philipps im Spital zum Heiligen Geist Kranke pflegte, des Öfteren mit Fieber hinging, nach vollbrachtem Liebeswerk aber gesund wieder nach Hause kam. Die Seinen machten die Erfahrung, dass alles, was sie im Gehorsam unternahmen, glücklich endete. Fabricio de Massimi, eines der ersten Beichtkinder Philipps, den er sehr gern hatte, hatte zwei Söhne, die todkrank waren. Er befragte die Ärzte, ob er sie nicht wegen der großen Hitze in Rom aufs Land bringen sollte. Diese wehrten ab: Dann würden sie gewiss sterben. Fabricio ging zu Philipp und erzählte ihm alles. Dieser sagte vor den Ärzten: „Geh, und zweifle nicht! Setze sie in eine Sänfte und lass sie reisen – sie werden von der Krankheit geheilt werden!“ Fabricio folgte diesem Rat und brachte die Söhne am nächsten Tag nach Arsoli, etwa 28 Meilen von der Stadt entfernt. Wie Philipp es gesagt hatte, wurden sie bald gesund – einer der beiden vollendete die Reise sogar auf dem Pferd.
Der Bruder von Kardinal Crescenzio, Vincenz, ein vortrefflicher junger Mann, bat Philipp, mit anderen jungen Leuten in eine bestimmte Kirche gehen zu dürfen (denn seine Schüler und Untergebenen taten nichts, ohne ihn um Erlaubnis zu bitten). Als sie wieder auf dem Heimweg waren, fiel Vincenz vom Wagen und wurde von den Rädern überrollt, sodass alle laut aufschrien: „JESUS!“ Er aber stand unverletzt auf und ging sogleich zu Philipp, um ihm alles zu erzählen. Dieser antwortete: „Schreibe es ganz deinem treu geleisteten Gehorsam zu – hättest du dir nicht die Erlaubnis geholt, wärst du schweren Verletzungen nicht entgangen.“ Ein anderer Römer, jung verheiratet, bezeugte, dass er, wenn er mit Philipps Erlaubnis an Gesellschaften und Vergnügungen teilnahm, es ohne Versuchungen irgendwelcher Art tun konnte. Nahm er aber ungefragt daran teil, wurde er durch wüste Gedanken verwirrt. Marcus Antonius Maffa, von dem wir noch an anderer Stelle berichten werden, fiel das Reden und Predigen vor dem Volk unendlich schwer, und er litt darunter. Aber wenn Philipp, dem er freudig gehorchte, es ihm befahl, redete und predigte er so gut, dass er zu den besten Predigern gerechnet werden konnte.
Dagegen machten viele, die auf Philipps Ermahnungen nicht gehört hatten, unglückselige Erfahrungen: Franciscus Maria Taurusius wünschte sich sehr, in der Nacht zu beten und hatte Philipp oft um Erlaubnis gefragt. Doch Philipp, der dessen schwache Gesundheit bedachte, hatte es ihm untersagt. Taurusius aber nahm den gut gemeinten Rat nicht an. Kaum war er in der Nacht aufgestanden, um zu beten, überfiel ihn eine solche Verwirrtheit im Kopf, dass er 11 Monate lang überhaupt nicht mehr beten konnte. Ein anderes seiner Beichtkinder geißelte sich täglich, ohne dass Philipp davon wusste. Er bekam Gewissensbisse und bat Philipp nachträglich um Erlaubnis dazu. Philipp antwortete: „Nicht nur nicht täglich – du darfst dich überhaupt nicht mehr geißeln!“ Dieser aber bat Philipp noch einmal sehr inständig, es ihm zu erlauben, und Philipp erlaubte ihm, sich einmal in der Woche zu geißeln. Nicht lange danach warf sich dieser Mann Philipp zu Füßen und schrie: „Es reut mich, es reut mich so sehr, Vater! Wenn der Tag kommt, da ich mich schlagen darf, habe ich solch einen Abscheu davor, dass ich es überhaupt nicht tun kann. Ich bekenne, dass das, was ich vorher mit großer Freude tat, nur ein Ausdruck von Stolz und Eigenwillen war.“
Philipp verbot einst einem seiner Beichtkinder, nach Tivoli und einem anderen, nach Neapel zu reisen. Beide handelten gegen dieses Verbot. Der erste stürzte vom Pferd und brach sich das Bein, der Zweite stürzte ins Meer und geriet in Lebensgefahr. Nicht nur mit Worten, sondern noch mehr durch sein Beispiel regte Philipp die Seinen zur Tugend des Gehorsams an. Er selbst war seinen Oberen jederzeit vollkommen gehorsam. Obwohl er als Vorsteher nach Vallicella gekommen war, legte er alles andere zur Seite, wenn er an die Pforte, in die Sakristei oder in die Kirche gerufen wurde. Er pflegte zu sagen, es sei besser, dem Sakristan und dem Pförtner zu gehorchen, als in der Kammer zu beten. Wenn ihm jemand bisweilen vorwarf, man dürfe einem Priester die Zeit der Vorbereitung auf die Hl. Messe nicht nehmen, antwortete er: „Wenn ein Priester mit ganz reinem Gewissen lebt, kann er zu jeder Stunde die Hl. Messe feiern.“ Auch den Ärzten gehorchte er immer, wenn er krank war, und schluckte sofort und mit frohem Gesicht auch die bitterste Medizin. Wenn sie ihm das Gebet verboten oder, was ihm noch viel schwerer wurde, die Hl. Messe zu feiern, gehorchte er augenblicklich. Einem Arzt, der ihm für 14 Tage verbot, die Hl. Messe zu lesen, war er gehorsam, obwohl es für ihn die härteste Abtötung war.
Er gab den Seinen dazu noch einige Ratschläge und Ermahnungen: Wer im geistlichen Leben vorankommen wolle, solle sich dem Willen der Oberen ganz und gar ergeben. Wer aber keinen Oberen habe, sollte ganz dem Rat eines erfahrenen und klugen Beichtvaters folgen und ihm an Gottes statt gehorchen. Wer so lebe, müsste dem himmlischen Richter in diesen Dingen keine Rechenschaft geben. Doch jeder sollte reiflich überlegen, wen er sich zum Beichtvater erwählte. Den Gewählten aber solle man nur aus wirklich schwerwiegenden Gründen verlassen. Er sagte: „Wenn der Teufel den Menschen nicht zu einer schweren Sünde verführen kann, dann bemüht er sich nach Kräften, Misstrauen zwischen den Beichtkindern und dem Beichtvater zu säen. Und die er offen nicht betrügen kann, überlistet er, indem er ihnen den geistlichen Führer nimmt und sie so heimlich niederwirft.“ Weiter sagte Philipp: „Der kürzeste Weg zur Vollkommenheit ist der Gehorsam.“ Er halte viel mehr von denen, deren Leben sich von der allgemeinen Lebensweise kaum unterscheide, die aber versuchten, im vollkommenen Gehorsam zu leben, als von jenen, die sich selbst die strengste Askese auferlegten. Darüber hinaus wünschte er, dass sie in den kleinen Dingen lernten zu folgen, in der Hoffnung, dass es ihnen in den großen und schweren Dingen umso besser gelänge.
Eines Tages schickte Philipp Franciscus della Molara, ein Beichtkind, nach St. Hieronymus mit dem Schlüssel seines Zimmers, um dort etwas zu erledigen. Trotz mehrfacher Versuche gelang es ihm nicht, aufzuschließen. Er schämte sich, so erfolglos zurückzugehen, aber bei einem erneuten Versuch bekam er nicht einmal mehr den Schlüssel ins Schloss. Zurückgekehrt gestand er Philipp beschämt sein Versagen. Dieser aber schickte ihn erneut dorthin. Er ging, schloss auf und erledigte seinen Auftrag. Verwundert und voll Freude kehrte er zu Philipp zurück, der ihm sagte: „Lerne daraus, mein Sohn, wie wichtig es ist, ohne Widerrede zu gehorchen.“
Von den Mitgliedern der Kongregation forderte Philipp vor allem, dass sie, wenn es an der Zeit war, alles Andere zur Seite legten, um ihre auferlegten Pflichten in der Kirche, im Oratorium oder im Haus zu verrichten. Er mahnte zudem, dass keiner in der Sakristei etwas Eigenes oder Besonderes haben sollte – keine Albe oder Kelch, keinen bestimmten Altar oder eine bestimmte Stunde – jeder sollte den Wünschen des Sakristans nachkommen. Außerdem sagte er, dass zu einem vollkommenen Gehorsam gehöre, einen Befehl des Oberen zu befolgen, ohne darüber nachzugrübeln oder zu forsche. Man solle sicher sein, dass nichts besser und vollkommener sein könne, als das vom Oberen Befohlene. Deswegen ermahnte er die Ordensmitglieder: Sollte ihr Oberer sie aus irgendeinem Grund an einen anderen Ort schicken, wo kein Nutzen zu erwarten war, sollten sie sofort dem Befehlenden gehorchen: Man müsse sehen, dass Gott das Gut, nach dem wir verlangen, auf diese oder jene Weise, zu dieser oder jener Zeit, durch uns oder andere durch die Tugend des Gehorsams wirken kann.
Endlich ermahnte er die Beichtväter, dass sie bei ihren Beichtkindern vor allem diese Tugend einüben sollten. Sie sollten sie lehren, den Verstand zu zähmen und den eigenen Willen unterzuordnen. Und sie sollten sie darin unterweisen, die eigenen Wünsche abzulegen und sich zu unterwerfen, statt sich mit vielen Kasteiungen des Leibes zu plagen. Und er setzte hinzu, dass diejenigen, die dies wegen ihrer Nachlässigkeit oder falscher Rücksicht bei ihren Beichtkindern versäumten, ohne Zweifel vor Gott Rechenschaft ablegen müssten.