- Die drei Optionen des hl. Philipp für Priestergemeinschaften
- Priester und Laienbrüder in einer einzigen Gemeinschaft
- Aus zwei Primizpredigten
Die drei Optionen des hl. Philipp für Priestergemeinschaften
Es hat immer wieder in der Kirchengeschichte Initiativen gegeben, die Priester zu einem gemeinsamen Leben zu bewegen. Ganz besonders in Zeiten großer Not in der Kirche wurden die Priester immer wieder dazu eingeladen, sich einer gemeinsamen Regel und Leitung zu unterstellen, um so unnötigen Gefahren aus dem Weg zu gehen und dabei in Gemeinschaft besser auf dem Weg der christlichen Vollkommenheit voranzukommen. Denn schon der hl. Paulus bemerkt selbstkritisch: »Darum laufe ich nicht wie einer, der ziellos läuft, und kämpfe mit der Faust nicht wie einer, der in die Luft schlägt: vielmehr züchtige und unterwerfe ich meinen Leib, damit ich nicht anderen predige und selbst verworfen werde« (1Kor 9,26-27). Oftmals sind aus solchen diözesanen Priestergemeinschaften dann später auch Ordensgemeinschaften mit Versprechen oder Gelübden geworden – aber nicht immer. Der hl. Philipp Neri hat z.B. solche Modelle für seine Initiative ganz bewusst abgelehnt. Er hat die verschiedenen Orden hochgeschätzt und auch viele junge Menschen dorthin geführt. Aber von seiner eigenen Gemeinschaft wollte er, dass sie anders sei. Sie sollte kein neuer Orden, sondern eine Gemeinschaft von »Weltpriestern« werden. Das versteht man am besten aus der Entwicklung seiner eigenen Berufung:
1. Primat des geistlichen Lebens vor pastoraler Aktivität
Die Entstehung seiner Gemeinschaften war nicht am Reißbrett geplant worden – sie hatte sich nach der Priesterweihe von Philipp Neri Schritt für Schritt aus der jeweiligen Situation ergeben und weiterentwickelt: Zunächst ging es um die geistliche Begleitung für einzelne Personen und dann um Gebetsgruppen mit Glaubensvertiefung (Bibelbetrachtung, Kirchenväter, Heiligenleben…). Schließlich ergab sich die Notwendigkeit, für die vielen Gebetsgruppen an verschiedenen Orten genügend Mitarbeiter zu haben. So kam es zu den ersten Priesterweihen der Oratorianer. Die Priester dieser Gemeinschaft waren also gemäß ihrer Entstehung vor allem geistliche und organisatorische Begleiter von »Oratorien«, also von Gruppen, die sich regelmäßig zu gemeinsamem Gebet und zur Glaubensvertiefung trafen. Im dritten Artikel der Konstitutionen der Kongregationen der Oratorianer des hl. Philipp Neri wird darauf hingewiesen, wie die spezifische Seelsorge der Oratorien auch heute noch aussehen soll: »Das Oratorium ist von Anfang an zum vertrauten Umgang mit dem Wort Gottes, sowie zum innerlichen und mündlichen Gebet in Gemeinschaft zusammengekommen, zu Übungen, die wie in einer Schule den Geist der Betrachtung und die Liebe zum Göttlichen in den Gläubigen fördern« (K 3).
2. Primat der Spiritualität vor rechtlichen Bindungen
3. Primat der Gemeinschaft vor individueller Effizienz
Gemeinschaft ist etwas anderes als Freundschaft, wenn auch »Freundlichkeit« unverzichtbar wichtig und segensreich ist. Gemeinschaft braucht ein gemeinsames Ideal. Christliche Gemeinschaft lebt von der Gegenwart dessen, der gesagt hat: »Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen« (Mt 18,20). Sich immer wieder neu im Namen Jesu Christi versammeln – also in Seiner Liebe – das macht die Gemeinschaft des Oratoriums echt und stark. Das bedeutet jedoch nicht, dass es nicht auch hier die Lasten von Alter, Krankheit, Charakter und persönlichen Krisen… gäbe. Aber diese Prüfungen gehen alle Mitbrüder an. Man kann an ihnen geistlich wachsen, wenn der gekreuzigte Erlöser die Quelle der mitbrüderlichen Liebe ist. Es geht also nicht um die Profilierung einzelner Mitbrüder, um Karriere, Ansehen oder Erfolg… Aber das Zurücktreten des Einzelnen im Miteinander kann zu einer besonderen Ausstrahlungs-Kraft und missionarischen Fruchtbarkeit der gesamten Gemeinschaft werden. Solange jeder Mitbruder wirklich Gott an die erste Stelle in seinem Leben stellt, ist die Chance dazu groß.
Nicht alle Priester haben die gleiche Begabung für das Gemeinschaftsleben. Darum gibt es ja in der Kirche so viele verschiedene Wege, den priesterlichen Dienst zu tun. Der hl. Philipp hat sich sehr gegen alle persönlichen Würden und Auszeichnungen gewehrt. Sein treuester und berühmtester Schüler, Cäsar Baronius, hat damals wohl am häufigsten den Küchendienst übernommen und gleichzeitig die wissenschaftliche Kirchen-Geschichts-Schreibung begründet. Kardinal wurde er im Gehorsam dem Papst gegenüber… Je mehr ein »Welt-Priester« das Leben in Gott zur Quelle seiner Seelsorge macht, umso gemeinschaftsfähiger und demütiger wird er auch. Je höher er auf den Stufen kirchlicher Ämter und Würden voranschreitet, umso mehr kann er schon durch sein bloßes Dasein dienen – bis hin zum Papst, dem »Diener der Diener Christi«, der wohl am allermeisten innerhalb der Kirche gehorchen »muss«.
Priester und Laienbrüder in einer einzigen Gemeinschaft
Wenn die Mitbrüder, die ein solches Oratorium bilden, ihre Berufung gut verstanden haben und sie gut zu leben versuchen, dann sind alle Mitbrüder die Diener von allen und gemeinsam dienen sie allen Menschen der Umgebung – jeder mit dem Charisma, das ihm zuteil wurde. Es geht darum, wie Jesus zu leben, der nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben wie ein Sühneopfer für die Welt darzubringen (vgl. Mk 10,45). Unterschiedliche Dienste sind nicht unterschiedliche Klassen. Ein Oratorium bildet in gewisser Weise eine Familie, in der es ganz natürlich unterschiedliche Dienste und Aufgaben gibt. In einer gesunden Familie lieben sich trotzdem alle gegenseitig.
Es gibt Menschen, die fühlen sich wohler im Schatten als in der Sonne, die wollen lieber hinter den Kulissen anderen zuarbeiten, als selber auf der Bühne zu stehen. Wer Laienbruder in einer Priestergemeinschaft wird, braucht eine besondere Begabung und Freude am verborgenen Dienen, ein Dienen, das vielleicht nur der Herrgott sieht, schätzt und belohnt. Das setzt einen hohen Grad von Leben aus dem Glauben voraus. Da genügt es nicht, in jungen Jahren voll begeistert sein Leben Gott zu weihen. Diese Hingabe braucht auch immer wieder Erneuerung und Vertiefung, wie auch geistliche Begleitung, damit sie ausreifen kann. Alle Mitbrüder im Oratorium brauchen eine hohe Wertschätzung und Bereitschaft zur Demut. Die Laienbrüder sollten »doppelt so viel« davon mitbekommen haben :-). Wenn sie ihre Berufung voll leben, machen sie auch schneller Fortschritte auf dem Weg zur Heiligkeit.
In der Apostelgeschichte wird davon berichtet, dass am Anfang die Apostel selber sich um alles gekümmert haben, z.B. auch um die praktischen Dinge wie die Organisation der Agape nach der Feier des eucharistischen »Brotbrechens« und die Versorgung der Bedürftigen. Das führte dazu, dass sie zu wenig Zeit zum Gebet und zur Verkündigung des Evangeliums hatten (vgl. Apg 6,1-7). Dieses Problem wurde dadurch gelöst, dass man Diakone bestellte, die sich mehr um die materiellen und karitativen Angelegenheiten kümmerten, um so die Apostel zu Gunsten ihrer mehr priesterlichen Aufgaben zu entlasten. Daraus entwickelte sich dann der Diakonat der Kirche. Laienbrüder sind zwar keine geweihten Diakone, aber ihre besondere Berufung kann man durchaus mit dieser urkirchlichen Erfahrung verdeutlichen. Priester und Laienbrüder ergänzen einander im Dienst für Kirche und Welt und machen so das Apostolat wirkungsvoller.
Die Heilige Familie von Nazaret vereinigte ganz verschiedene Berufungen, die einander dienten und ergänzten. Die Mutter Jesu hat ihr Kind »durch Überschattung des Heiligen Geistes« empfangen, also Gott selber ist der Vater Jesu. Josef diente Jesus und Maria durch die Sorge um den Unterhalt der Familie. Er kümmerte sich um das Haus, das lebensnotwendige Einkommen, den Schutz in Gefahren und um vieles mehr. Er hat sich deswegen nicht erniedrigt gefühlt. Vielmehr war er zu jedem Dienst bereit, weil er ihn als Wille Gottes erkannte und so auch ausübte. Die Laienbrüder in einer Priestergemeinschaft haben ganz ähnliche Aufgaben. Sie müssen nicht predigen, aber ihr stilles Dasein, Beten und Arbeiten kann oft mehr überzeugen als schöne Worte. So nehmen auch die Laienbrüder voll an der Mission der ganzen Gemeinschaft teil.
Niemand kann sich selber die Priester- oder Ordensberufung geben – sie muss von Jesus selber kommen und durch die kirchlichen Oberen bestätigt werden. Die Grundberufung jedes Christen ist die Heiligkeit, zu der wir bereits durch die Taufe eingeladen wurden. Wer diese Grundberufung noch nicht wirklich angenommen hat, sollte gar nicht über eine besondere Aufgabe in der Kirche nachdenken, sondern erst die Fundamente vorbereiten, bevor er mit dem Hausbau beginnt. Wer aber vor allem die Berufung zur Heiligkeit verstanden und angenommen hat – und das unabhängig von einem besonderen Weg (Familie, Einsamkeit, geistliche Gemeinschaft) – für den ist das »Priester-werden« nicht mehr das Allerwichtigste im Leben. Wer aus schulischen oder gesundheitlichen Gründen nicht Priester werden kann, ist deshalb aber noch nicht automatisch zum Ordensbruder berufen. Wenn jedoch die Bereitschaft zum vollen Dienst am Reiche Gottes echt und dauerhaft ist, wenn es nicht darum geht, »jemand« zu sein, sondern die Bereitschaft da ist, im Verborgenen zu dienen, für den kann die Berufung zum Ordensbruder echt sein (oder nachträglich echt werden). Wer Gott und der Kirche wirklich dienen will, für den ist der Platz, oder die Rolle, in der man dient, nicht mehr entscheidend. Glücklich, wer auch in dieser Frage die »heilige Gleichgültigkeit« erlangt hat, oder sich ehrlich um sie bemüht!
Aus zwei Primizpredigten
Fürchtet euch also nicht!
Fragmente einer Primizpredigt
Das Wort aus dem heutigen Evangelium (Mt 10,26-33), das ich dir, lieber Neupriester, aber auch uns allen hier laut zurufen und ans Herz legen möchte, ist die Aufforderung Jesu: »Fürchtet euch also nicht!« Jesus will dir und uns allen Mut machen. Wir brauchen keine Angst zu haben vor den Menschen – auch, wenn uns so manche Leute heutzutage nicht mehr verstehen.
Es ist in unserer Zeit ja nicht so selbstverständlich, dass ein junger begabter Mann mit Hochschulreife und Karriere-Chancen ausgerechnet zu einer Priesterberufung ja-sagt. Gewisse Medien wetteifern bekanntlich damit, genüsslich gerade über die Schwachstellen in der Kirche zu berichten. Sogar in traditionell gläubigen Familien und Kreisen breitet sich im Hinblick auf die Kirche nicht selten Untergangsstimmung aus. Wir hier in Aufhausen trauen uns aber trotz alldem, auf großartige Weise Primiz zu feiern: Die ganze Gemeinde ist vertreten! Die Vereine haben dir, lieber Br. Lazarus, einen kostbaren Kelch gestiftet und sind mit ihren Fahnen präsent. Blasmusik, Kirchzug, Pfarrfest, zahlreiche Pilger von Nah und Fern… – und warum dieser Glanz?
Wir würdigen mit dieser Primizfeier nicht ein bestandenes Staatsexamen, sondern wir feiern Jesus Christus, unseren Erlöser und Heiland, der in seinem Priestertum auch weiter unter uns gegenwärtig ist, der uns in den Hirten der Kirche auch weiter dient und den Weg zum wahren und bleibenden Glück des Menschen weist. Gestern wurdest du im Hohen Dom St. Peter zu Regensburg zum Priester geweiht. Und das bedeutet weit mehr als eine Ernennung oder eine Bevollmächtigung für eine zeitlich begrenzte Leitungsaufgabe, denn die Priesterweihe ändert das Wesen eines Menschen! Ein Priester, also ein geweihter Mittler zwischen Gott und den Menschen, ist man für immer. Gott nimmt von ihm Besitz und ist in ihm besonders gegenwärtig. Diese Nähe Gottes erlegt zwar dem Priester eine gewisse Distanz zu seiner Umgebung auf, aber diese zeitweilige Absonderung isoliert und trennt ihn nicht von den Mitmenschen, sondern gerade sie schenkt ihm eine besondere Nähe zu ihnen. Alle Menschen gehen den Priester etwas an – besonders jene, die sich in Not befinden. Hier zählt nicht Sympathie oder persönliche Freundschaft und es gibt auch keinen 8-Stunden-Tag, keinen üblichen Urlaub und auch keinen wirklichen Ruhestand. Denn Priester ist man immer – rund um die Uhr! Natürlich braucht auch der Pfarrer seine Erholung, aber diese dient ebenso wie alles andere in seinem Leben vor allem dem Reiche Gottes.
Ja, liebe Brüder und Schwestern, das katholische Priestertum ist mehr als ein Beruf, es ist Berufung, und dieser Ruf Gottes kann sich nur in der Radikalität des Evangeliums voll entfalten. Viele gesunde junge Menschen streben auch heute noch nach hohen Idealen. Nicht alle wollen sich mit der Sattheit eines abgesicherten Lebens begnügen. Sie suchen in Kunst, Politik, Sport oder Wissenschaft… die Möglichkeit, über sich hinauszuwachsen und Überdurchschnittliches zu leisten. Kein mühevolles Training und kein gelegentlicher Misserfolg hält sie ab, ihrem Gipfelerlebnis zuzustreben. Niederlagen werden zum Ansporn für noch größere Anstrengung. Ach, wenn doch mehr Jugendliche in ihren eigenen Familien, Schulen und Pfarreien die Erfahrung Jesu Christi machen würden – die Priesterseminare würden aus den Nähten platzen! Denn das Abenteuer des Glaubens überragt alle anderen Möglichkeiten, Großes zu leisten und mit der Gnade Gottes zu erlangen. Denn die größte und spannendste Bergtour des Lebens ist die Gotteserfahrung im Dienst des Evangeliums Jesu Christi.
Liebe Brüder und Schwestern, jetzt denken sich vielleicht so manche von euch: Aber das ist doch ein total veraltetes Priesterbild, so etwas gibt es doch gar nicht mehr! Dem muss ich – dem darf ich widersprechen: Es gibt noch zahlreiche Priester auf der Welt, die so denken und zu leben versuchen – angefangen z.B. bei Papst Franziskus und vielen anderen, die ihm folgen. Und darum geht die Kirche auch nicht unter! Wir haben die Talsohle des Priestermangels in unseren Regionen zwar noch nicht erreicht. Zunächst brauchen wir wohl noch viel Reinigung und Erneuerung des innerkirchlichen Lebens und Abspeckung aufgeblähter Strukturen. Aber ein neuer Frühling der Kirche ist hier und dort schon spürbar, ja im Aufblühen.
Lieber P. Lazarus, freue dich, dass du in diese Zeit eines neuen Aufbruchs hineingeweiht worden bist! Du wirst zwar noch erleben, wie so manches zusammenbricht, aber du wirst auch erfahren, wie die Kirche noch viel schöner und echter wieder aufersteht! Denn das Priesterbild, von dem ich hier spreche, ist nicht veraltet, sondern so jung und zeitlos gültig wie das Evangelium Jesu Christi selber! Durch die Priesterweihe bist du noch mehr als durch Taufe und Firmung mit Jesus Christus eins-geworden, um so seine Mission fortsetzen zu können. Das ist ein Geschenk, ein Segen und eine Freude für uns alle. – Fürchtet euch also nicht!
(Aus der Primizpredigt für P. Lazarus M. Uchman CO, Aufhausen, 25.06.2017, veröffentlicht in: W. Wermter, Priester aus Berufung, 3-6)
Durch ihn und mit ihm und in ihm
Leben und Wirken in Gemeinschaft mit Jesus Christus
Danke, lieber Mitbruder, dass du dir als Motto für deinen priesterlichen Dienst ein Fragment aus dem eucharistischen Hochgebet ausgewählt hast. Der ganze Satz lautet:
Durch ihn und mit ihm und in ihm
ist dir, Gott, allmächtiger Vater,
in der Einheit des Heiligen Geistes
alle Herrlichkeit und Ehre jetzt und in Ewigkeit.
Amen.
Das ist der feierliche Lobpreis, den der Priester in jeder Heiligen Messe Gott dem Dreifaltig-Einen darbringt – bekräftigt durch das feierliche Amen aller Mitfeiernden.
Durch diese Hervorhebung hast du vor allem eines betont: Der katholische Priester tritt in seinem gesamten 24-Stunden-Dienst, besonders aber bei der Verkündigung des Wortes Gottes und bei der Spendung der Sakramente, ganz hinter seinen Herrn und Meister zurück. Er vergegenwärtigt IHN mit Vollmacht, wobei er sich selbst soweit wie nur möglich zurücknimmt: Die Wahrheit, die der Priester verkündet, der Segen, den er spendet, die Gnade, die er strömen lässt… alles – ja alles soll in größter Einheit mit Jesus Christus geschehen! Und ebenso gilt umgekehrt: Die Dankbarkeit, die Ehre und Liebe, die wir dem Priester schenken, gilt vor allem Jesus Christus selber! Darum feiern wir jetzt nicht einen gelungenen Studienabschluss oder den Start in eine außergewöhnliche Berufskarriere. Wir feiern vor allem Jesus Christus, den Herrn, der dich nach einer bewegten Jugendzeit in seinen engeren Jüngerkreis berufen hat. Jetzt gilt auch für dich in hervorragender Weise das Wort des Auferstandenen, das er seinen Aposteln am Ostertag zurief: »WIE MICH DER VATER GESANDT HAT, SO SENDE ICH EUCH!« (Joh 20,21). Bei der Priesterweihe hast du gestern vom Bischof eine Sendung erhalten, die durch Jesus Christus in Gott-Vater selber gründet. Das kommt ebenfalls und noch stärker in jenen Worten zum Ausdruck, die Jesus schon nach der Fußwaschung seinen Aposteln sagte: »WER JEMANDEN AUFNIMMT, DEN ICH SENDE, DER NIMMT MICH AUF; WER ABER MICH AUFNIMMT, DER NIMMT DEN AUF, DER MICH GESANDT HAT« (Joh 13,20).
Lieber Neupriester, diese Worte aus der Heiligen Schrift betonen unanfechtbar die radikale Einheit mit Gott, in die jeder Priester gleichsam »hineingesalbt« und aus der heraus er gesendet wird. Menschlich gesehen müsste man in Angst und Schrecken verfallen – so groß ist diese Herausforderung!
Darf man eine solche Berufung überhaupt annehmen, verbirgt sich da nicht eine grobe Selbstüberschätzung, vielleicht sogar Hochmut? – Nein, meine Lieben, denn niemand kann sich selber die Berufung zum Priestertum geben, sie wird einem anvertraut – trotz aller Bedenken und Schwächen. So oft scheint Gott sogar gerade nicht – menschlich gesehen – die Fähigsten, Gesündesten oder Gescheitesten auszuwählen, sondern er beruft oft schwache Menschen, damit sie ein Leben lang zunächst in Demut an sich selber arbeiten müssen, während sie sich bemühen, andere zu einer immer größeren Liebe in Christus hinzuführen. Da gibt es keinen Grund zur Überheblichkeit, aber auch keinen Anlass zur Mutlosigkeit, denn Christus ruft, wie dem heiligen Paulus, so auch allen Priestern zu, die mit ihren Schwächen zu kämpfen haben: »MEINE GNADE GENÜGT DIR; DENN SIE ERWEIST IHRE KRAFT IN DER SCHWACHHEIT« (2Kor 12,9). Der Priester muss also kein geistiger Überflieger sein, aber er muss mit der Gnade Gottes immer gut zusammenarbeiten – bei sich selber wie im Dienst für andere. Und dieses demütige An-sich-arbeiten hört nie auf! Lieber Mitbruder, ich bin schon gut über 50 Jahre Priester und immer mehr sehe ich, dass ich noch viel lernen muss, lernen darf: Die größten Fehler in meiner Vergangenheit geschahen wohl dadurch, dass ich oft selber, aus eigener Kraft etwas zustande bringen oder erreichen wollte, anstatt mich mehr zurückzunehmen und Jesus selber wirken zu lassen: Durch IHN und mit IHM und in IHM!
Liebe Brüder und Schwestern, werfen wir jetzt noch einen Blick in die heutigen Lesungen vom 13. Sonntag im Jahreskreis (C). Sie haben uns sehr viel zum Thema der priesterlichen Berufung zu sagen:
Im Evangelium wurden wir zunächst an den so wichtigen Grundsatz der Gewaltlosigkeit erinnert: Auf dem Weg nach Jerusalem mussten Jesus und die Apostel Samarien durchqueren. Dort wurden sie in einer Ortschaft nicht gastfreundlich aufgenommen, weil sie als Pilger nach Jerusalem unterwegs waren. Das hat ihnen sehr wehgetan und einige Apostel schlugen vor, diese Ortschaft mit Feuer vom Himmel zu bestrafen. Das aber kommt für Jesus nicht in Frage. Denn das Evangelium kann man nur mit Hochachtung vor der Freiheit der Zuhörer, mit Vergebung und Liebe verbreiten. Auch für Jesus war die Zurückweisung ein Schmerz, aber er drängt sich niemandem mit Gewalt auf. Darum heißt es nach diesem Zwischenfall ganz schlicht und einfach: »Und sie gingen zusammen in ein anderes Dorf.« – Unterwegs trafen sie auf einen Mann, der wohl Jesus mit seiner Jüngergruppe schon eine Zeit lang beobachtet hatte und sich nun begeistert anschließen wollte. Aber Jesus warnt ihn und bremst mit einem Satz, der die ganze Radikalität des priesterlich-missionarischen Dienstes zum Ausdruck bringt: »Die Füchse haben ihre Höhlen, die Vögel ihre Nester; der Menschensohn hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.« Wer also in den näheren Dienst Jesu eintreten will, muss bereit sein, alle materiellen Sicherheiten und Bequemlichkeiten aufzugeben und vertrauensvoll von der Vorsehung Gottes zu leben. – Einen anderen Mann wollte Jesus selber in seine engere Jüngerschar berufen, aber dieser wollte zunächst abwarten, bis sein Vater gestorben wäre, um erst dann mit seiner Berufung ernst zu machen. Die Antwort Jesu ist wiederum sehr radikal: »Lass die Toten ihre Toten begraben – du aber geh und verkünde das Reich Gottes!« Mit den »Toten«, die ihre Toten selber begraben sollen, sind hier jene Ungläubigen gemeint, die seelisch tot sind, während sie weltlich in ihren irdischen Interessen leben und darin aufgehen. Mit ihnen soll man keine Zeit vergeuden. Die Verkündigung des Reiches Gottes ist wichtiger als alles! Für eine geistliche Berufung darf man, ja muss man sehr schöne, interessante und auch nützliche Dinge zurücklassen – sogar die Interessen der eigenen Familie – und das ohne Verzögerung! Denn die Anliegen und Pläne Gottes haben immer den Vorrang. – Von einem weiteren Kandidaten für den engeren Jüngerkreis verlangte Jesus sogar, dass er nicht einmal zur Verabschiedung nach Hause gehen sollte – vermutlich deshalb, weil in diesem Fall die Gefühle und emotionalen Abschiedstränen den Missionseifer bremsen oder sogar auslöschen könnten: »Wer die Hand an den Pflug legt und nochmals zurückblickt, taugt nicht für das Reich Gottes.«
Werfen wir noch einen Blick auf die erste heutige Lesung. Wir hörten aus dem Buch der Könige (1Kön 19,16b.19-21) von der Berufung des Propheten Elischa. Dieser wird während des Pflügens mitten aus der wichtigen Feldarbeit herausgerissen. Er bekommt vom Propheten Elija zwar die Erlaubnis, den Eltern noch einen Abschiedskuss zu geben, aber gleichzeitig auch die Ermahnung, doch schnell wieder zurückzukehren. Zum Abschiedsessen für die Mitarbeiter schlachtet der neu berufene Prophet seine wertvollen Rinder, mit denen er gerade noch gearbeitet hatte. Um das Fleisch für ein Abschiedsessen im Feuer vorzubereiten, verbrennt er sogar das kostbare Joch dieser Zugtiere. An diesem symbolischen Handeln wird sehr deutlich, dass man sogar »Brücken hinter sich abbrechen« muss, wenn Gott zu einem besonderen Dienst ruft. Die Echtheit einer geistlichen Berufung muss selbstverständlich geprüft werden. Wenn aber eine Berufung von den zuständigen Instanzen mit moralischer Sicherheit als echt erkannt wird, dann soll die Antwort auch der Größe und Würde Gottes entsprechen, von dem jede geistliche Berufung ausgeht!
Damit der Priester wirklich frei ist für seinen ungeteilten Dienst, muss er nicht nur – so wie jeder getaufte Christ – »leben, wie ER [Jesus] gelebt hat« (1Joh 2,6). Er soll darüber hinaus auch die drei klassischen »Evangelischen Räte« ernst nehmen, damit er immer mehr zusammen mit Jesus ein »guter Hirte« werden kann, der sein Leben für die Schafe hingibt: Auch Jesus selbst lebt den liebenden GEHORSAM. Den Willen des Vaters nennt er sogar »seine Speise« (Joh 4,34), die er jeden Tag von neuem im persönlichen Gebet findet. In seiner EHELOSEN KEUSCHHEIT vergegenwärtigt Jesus – und mit IHM der katholische Priester – die Vaterschaft Gottes durch die erlösende, heilende und hochherzige Liebe für alle. Jesus erzieht seine Apostel auch zu GEISTIGER ARMUT – durch anspruchslose Genügsamkeit in materiellen Dingen, die sich immer wieder im Vertrauen auf die Vorsehung Gottes beschenken lässt und durch Lernbereitschaft und Verfügbarkeit im Heiligen Geist.
Liebe Brüder und Schwestern, der Radikalismus der heutigen liturgischen Lesungen könnte uns mutlos machen, wenn wir ihn als Forderung eines menschlichen Systems, einer politischen Ideologie oder eines irdischen Macht-Apparates auffassen würden. Aber darum geht es – Gott sei gedankt! – wirklich nicht! Jesus Christus, der Sohn Gottes des Ewigen Vaters, unser Erlöser und Heiland, an dessen unendliche Liebe wir von ganzem Herzen glauben, ER ist es, in dem jede echte Berufung der Kirche ihren Ursprung und ihr Ziel hat. Wir brauchen und wollen die Kirche nicht neu erfinden. Sie ist der »Leib Christi« wie sich der hl. Paulus gerne bildhaft ausdrückt (1Kor 12,12-31a). Durch die Taufe sind wir alle »lebendige Glieder« an diesem Leib geworden mit den verschiedensten Aufgaben zum Aufbau der Kirche (Eph 4,7-16). Christus selber hat uns aber auch vorausgesagt, dass wir nicht erwarten können, von allen verstanden und angenommen zu werden. Mehr noch: Wir müssen auch bereit sein, zusammen mit ihm verfolgt zu werden: Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt. Denkt an das Wort, das ich euch gesagt habe: Der Diener ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen; wenn sie an meinem Wort festgehalten haben, werden sie auch an eurem Wort festhalten. Das alles werden sie euch um meines Namens willen antun; denn sie kennen den nicht, der mich gesandt hat (Joh 15,19-21).
Keine Angst, meine Lieben! In allen Jahrhunderten haben die »Mächte der Unterwelt« (Mt 16,18) am Felsen Petri gerüttelt, ihn aber nicht zum Einsturz gebracht. Und sie werden es auch jetzt und in Zukunft nicht schaffen! Und du, lieber Mitbruder, hast dir einen sehr guten Schutz und eine echte Hilfe für schwierige Situationen, Aufgaben und Zeiten gewählt: Du hast dich entschieden, deinen priesterlichen Dienst in einer Priestergemeinschaft zu tun, im Oratorium des heiligen Philipp Neri! Solch einer Gemeinschaft anzugehören ist nicht nur hilfreich im Hinblick auf den Zölibat. Das tägliche Miteinander unter Mitbrüdern ist einerseits eine Herausforderung, aber andererseits ergänzt und hilft die Gemeinschaft nicht nur in praktischen Dingen des Alltags und bei den Anforderungen in der Seelsorge. Sie schützt nicht nur vor Einsamkeit und stärkt in vielen Versuchungen, die auch vor dem Priester nicht haltmachen. Darüber hinaus ist die Spiritualität der Gemeinschaft eine nie endende Gabe und Aufgabe, am eigenen geistlichen Leben weiter zu arbeiten und Jesus auch als Gemeinschaft zu vergegenwärtigen (Mt 18,20).
Darüber hinaus ist unserem Aufhausener Oratorium noch die Gnade und das Glück beschieden, dass wir mit der Schwestern-Gemeinschaft der Dienerinnen vom Heiligen Blut eng zusammenarbeiten können. Die gemeinsame Spiritualität und die gegenseitige Ergänzung der verschiedenen Ordens-Charismen ist für beide Gemeinschaften sehr vorteilhaft und wirkt sich segensreich aus für die Pfarrei, das Heiligtum Maria-Schnee, die Wallfahrts-Seelsorge, die Bruderschaft vom Heiligen Blut und den gesamten Freundeskreis der Geistlichen Familie. Besonders die marianische Mütterlichkeit, die unsere Schwestern ausstrahlen, ist ein großes Geschenk nicht nur für uns Oratorianer, sondern auch für alle, denen wir gemeinsam als geistliche Familie dienen. Sie hilft uns Priestern und Brüdern die geistliche Vaterschaft zu leben und weiterzuschenken. Wir danken Gott, dass wir auf diese Weise als geistliche Familie besonders auch die natürlichen Familien verteidigen und stärken können, die durch die ideologischen Verirrungen unserer Zeit so stark angegriffen werden.
Lasst uns nun mit diesem Mess-Opfer gemeinsam Gott für unseren Primizianten danken, für alle Mühe und Liebe seiner Eltern, Geschwister und Angehörigen, für alle, die ihm auf seinem Weg zum Altar helfend beigestanden sind. Wir danken auch für alle Neupriester dieser Tage und für alle, die in Einheit mit Jesus Christus unserem Erlöser und Hohen Priester der größeren Ehre Gottes und dem Heil aller Menschen dienen: Durch IHN und mit IHM und in IHM!
(Aus der Primizpredigt für P. Pio Maria Fichtl, Aufhausen, 26.07.2022, veröffentlicht in: W. Wermter, Priester aus Berufung, 128-136)